Hannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 20. Juni 1944

20. Juni 1944

Meine liebe, liebe Elsbeth!

Nun warten wir noch immer auf Abruf zu unserem Lehrgang. Gerüchteweise war verlautet, daß er heute beginnen solle. Dem ist aber scheinbar nicht so. Nun, ist ja auch egal. ich habe für mich keine 2% Hoffnung. Bin eben zu alt. Wenn man nur wüßte, was mit einem geschieht. Komme ich wieder runter nach Italien, oder hier zu einer neuen Rekrutenkompanie? Alles Fragen, die offen sind.

Sie sollten einen nur direkt vom Lehrgang ausschließen, denn diesen Dienst, der schlimmer als bei Rekruten ist, mitmachen und von vornherein wissen, daß es doch umsonst ist, gehört nicht gerade zu den Annehmlichkeiten des Soldatenlebens.

Vorläufig sonne ich mich im „Glück“ des strahlenden Juni-Monats. Wie oft ich in diesen letzten Tagen an unseren ersten Juni-Monat gedacht habe, kann ich garnicht sagen. Es hat sich bei mir so eine träumerische Stimmung gebildet, in der ich fast ausschließlich an Dich denke. Manchmal, bei der Arbeit,

ertappe ich mich bei schönen Gedanken, die mit Arbeit nicht das Geringste zu tun haben. Aber, ich gehe dann diesen Gedanken nach und sonne mich darin.

Ach, Elsbeth, was wird das schön sein, wenn wir mal wieder für immer beisammen sind. Und jetzt habe ich wieder Hoffnung, seitdem es mit der Invasion für uns so gut steht. In 3 oder 4 Tagen wollte der Engländer am Rhein stehen und nun muß er sehen, wie ihm alles kaputt geschlagen wird. Jetzt spürt er endlich am eigenen Leibe, wie es ist, wenn einem die Städte zerschlagen werden.

Aber ich wollte ja garnicht vom Krieg reden. Ich möchte Dich jetzt bei mir haben, mit Dir spazieren gehen, unterhalten, etwas singen, Blumen pflücken. Ewas lesen und in der Couch-Ecke sitzen. Ich möchte Dich liebhalten und Dich küssen und Dir alles Liebe antun. Ich habe Dich ja so gern und immer lieber. Manchmal denke ich, jetzt geht es nicht mehr weiter, jetzt muß eigentlich der Höhepunkt sein. Aber, es geht noch immer weiter. In diesen Gedanken

halte ich Dich ganz fest lieb und küsse Dich innig.

Ich bin immer
Dein Hannes.