Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 15. Juni 1940

15. Juni 1940

Liebste Elsbeth!

Welche Freude! Heute kamen sag' und schreibe 9 Briefe von Dir an und viele Zigaretten. Und so viel Liebes stand in den Briefen, daß ich mich, wenn auch in dem kleinen Nest, in das wir heute eingerückt sind, etwas verlassen, so doch aber überglücklich vorkam. (Ich meinte damit natür­lich die Briefe.) Dank auch Frau Weigel [Nachbarin von Elsbeth's Eltern] und einen recht herz­lichen Gruß. Brauch' ich doch nicht mehr die französischen Zigaretten, die man hin und wieder jetzt bekommt und die einem den Hals zuhalten, zu rauchen.

Nun fehlen mir aber immer Briefe zwischen vom 4., 5. u. 6. Juni. Du schreibst, daß Du meinen Brief wegen des Geldes nicht verstehen kannst. Hast Du denn mein Paket mit Speck und Wurst nicht bekommen? Das täte mir leid, es waren für 7,- Mark Speck und ein großes Stück Dauer­wurst. Weniger um das Geld, als um das Zeug tut es mir leid.

Und dann hat mich das mit der Nachzahlung gefreut. Ich werde mich noch bei Herrn Pamp [Kollege] bedanken.

Dann schreibst Du, daß Du manchmal in Sorge um mich bist. Liebe Elsbeth! Das darfst Du nicht. Wenn wir auch jetzt jeden Tag weiter nach vorne kommen, so ist es aber so, daß wir noch immer in einiger Entfernung davon sind. Und dazu kommt, daß die Franzosen ja eine einzige große flüchtende Kette ist, die unsere Soldaten so vor sich hertreiben. Lange kann daher der Krieg nicht dauern. Gestern sprach ich mit einem Infanteristen, der mit seiner Truppe schon gottweißwieoft zum Einsatz irgendwohin befohlen wurde. Und jedes-

mal, wenn sie am Bestimmungsort an­kamen, war die Front schon wieder 50 km nach vorn verlegt worden. Unsere Soldaten marschie­ren und fahren so einfach nach Frankreich hinein und jeder Widerstand wird, ich möchte fast sagen, im Marschieren gebrochen. Heute kamen wir hier an, haben schnell die Straßen in Ordnung gebracht, einige tote Franzosen und Schwarze beerdigt, tote Pferde usw. weggeräumt und morgen geht's wahrscheinlich schon wieder weiter. Unsere Verpflegung kann mit Pferde­wagen gar nicht mehr mitkommen. Aber das ist auch weiter nicht tragisch, denn ich war eben im Zeltlager. Da wurde ein Schwein von einer Gruppe am Spieß gebraten, eine andere hatte einen riesigen Kessel mit 8 Hühnchen auf einem Feuer, 2 Schweine hängen noch an der Wand und ein Kalb wird gerade abgehäutet. Ein Bild, wie auf Fahrt. Wir sind heute in der Champagne.

Wenn Du schreibst, daß Du Sorge um mich hast, muß ich mich ja schämen, daß ich nicht, wie andere mein Leben in die Schanze schlage.

Und nun, meine liebe Elsbeth, tue ich Dir etwas ganz Schönes und ich küsse Dich viele, viele Male und herze Dich so fest, daß es eine wahre Freude ist. Auch Dorotheechen nehme ich auf den Schoß und tolle nochmal so recht mit ihr auf der Couch herum. Und dann bringe ich sie mal ins Bett und danach gehe ich wieder zur Couch und dann wollen wir uns mal so recht gernhaben. Zum Schluß küsse ich Dich nochmal ganz zart auf zwei Knöspchen und drücke mein Gesicht ganz fest an Dich.

Ich hab Dich immer und ewig lieb

und bin Dein lieber Hannes