Hannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 14. Juli 1944

14. Juli 1944

Meine liebe, liebe Elsbeth!

Ich grüße Dich ganz, ganz herzlich und innig.

Nun sind es morgen nur noch 2 Wochen, dann ist Schluß. Schluß des Lehrgangs. Hoffentlich bin ich dann noch mal wenigstens auf einen Sprung zu Hause. Und kann Dich noch mal so recht von Herzen lieb halten. Ich weiß nicht, sonst hat man doch auch oft lange Zeit keinen Urlaub gehabt. Aber nun ist es so, daß einem schon 2 Monate zu lang werden. Vielleicht liegt es auch daran, daß man nicht im Einsatz ist – oder ist man doch so kriegsmüde geworden??? Ich sehne mit aller Gewalt den Frieden herbei.

Gestern hatte ich einen sehr, sehr schönen Abend. Ich habe etwas ganz Einmaliges gesehen. D.h. einmalig ist es ja nicht im Allgemeinen. Aber ich habe dies zum ersten Mal gesehen. Vom Lehrgang aus sind wir zu einer Tanzveranstaltung gegangen. Ein wunderbares Theater, modern. Es tanzte die Tanzgruppe einer großen deutschen Opern- oder Schauspielbühne.

Es wurden verschiedene Spiele, Märchen, Stücke und Charakteristiken getanzt. Ein Tanzmeister, ein zweiter Tänzer und verschiedene Tänzerinnen tanzten so, daß man im Tanz die Geschichte, das Märchen oder sonstwas genau erkennen konnte. Kostüme und Menschen waren gut. Es ist schade, Du hättest das sehen müssen.

Ich traf zufällig einen Godesberger (Ogfr.), Alfons Schmidt, früher Kellner. Er sagte, da müsse ich einmal den Heinz Mies [Nachbar von Elsbeths Eltern] anrufen, er wäre mit ihm zusammen. Ich rief darauf Heinz an am Fernsprecher und vereinbarte mit ihm eine Zusammenkunft. Am Sonntag-Nachmittag wollen wir uns treffen.

Heute sind wir nicht aus dem Bau gewesen. Aber 8 Stunden Unterricht – ein Thema nach dem anderen. Ich bin jetzt, um 22 Uhr noch nicht ganz fertig, denn nach dem Unterricht gings in der Stube weiter zum Ausarbeiten.

Ich habe heute ein solch einsames, verlassenes Gefühl, daß ich am liebsten mich auf den Zug setzen möchte und zu Dir fahren. So muß ich Dich denn im Geiste wieder liebhalten und Dich ganz leise und andächtig küssen – auf Deinen lieben Mund, Deine schönen Augen, Deine Stirn und Deine lieben kleinen weichen Brüste. Ich bin immer
Dein Hannes.