Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 17. Oktober 1940

Meine liebe, liebe Elsbeth!

Jetzt denke ich mir, ich sitze neben Dir auf der Couch und Du im „Goldenen“, wie Du schreibst. Und es wäre Frieden; ich wäre für immer bei Dir, kein Fliegeralarm, kein Krieg und nichts mehr. Frauchen wäre gesund usw. Aber das kommt ja auch noch alles einmal.

Nach dem Ganzen von vorvorgestern abend war der Chef vorgestern und auch gestern bestrickende Liebenswürdigkeit. Vorgestern abend haben wir mit ihm zusammengesessen (der Spieß und ich). Um 12,00 Uhr des nachts habe ich den Spieß dann zu Bett gebracht. Der war vielleicht voll. Zu Dreien haben wir an dem Abend getrunken: 1 Liter 49%igen Schnaps, 6 Liter Bier und eine Flasche Sekt. Wohlweislich habe ich wohl das Wenigste davon getrunken und so war ich dann nachher auch noch nüchtern. Und gestern ist sind der Chef und ich nach Valenciennes gefahren. Da habe ich denn für Frauchen schnell ein paar Kleinigkeiten gekauft: 4 Aufnehmer u. 2 Stück 1 Kilo-Büchsen tres bon junge Erbsen. An Stoffen ist in Valenciennes leider nichts zu kaufen gewesen. Wahrscheinlich fahre ich aber diese Woche nach Belgien. Eben habe ich noch schnell 600 Gramm feine Holl. Milch-Schokolade geschnappt - 3,- RM - Meine Erkältung habe ich schon längst vergessen. Das hat man ja auch schon früher gehabt, ohne sich deswegen zu sorgen.

Ich muß Dir nun endlich ein „Geständnis“ machen. Als ich

in Godesberg war, konnte ich es Dir nicht sagen, weil ich dachte, Du seiest dann so betrübt, daß es sich auf unser Zusammensein nicht gut auswirken würde, oder doch wenigstens Dir immer etwas nahe gehen würde. Also, auf meiner Hinfahrt zu Dir ist mir im Zug, wahrscheinlich, als ich gerade mal etwas eingenickt war, das schöne Zigarettenetui gestohlen worden. Und ich habe es auch trotz stärkster Bemühungen nicht wiederbekommen. Zu Hause, wenn ich mir eine Zigarette ansteckte, war ich immer bange, du würdest einmal danach fragen. Aber einmal mußt Du es ja doch wissen. Ich hatte lange einen „Klos im Halse stecken“, weil es so ein schönes Geschenk von Dir war und ich nicht besser darauf aufgepaßt habe. Was wirst Du jetzt denken. Da wäre ich wohl am besten gar nicht gefahren, dann hätte ich es jetzt noch. Oder wie denkst Du darüber? So, nun ist es vom Herzen herunter.

Liebe Elsbeth, ich drücke Dich trotzdem aber ganz fest an mich und gebe Dir einen herzlichen Kuß auf Deinen lieben, schönen Mund, Vielleicht verschmerzt Du dann das Vorkommnis usw. Ich halte Dich lieb und bin immer Dein treuer
Hannes