Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 9. November 1943

9. November 1943

Meine liebe Elsbeth!

Habe ich Dir schon von hier geschrieben? ich weiß nicht genau. Also, wir sind aus der vordersten Linie heraus und etwa 100 km hinter der Front, um hier mit neu eintreffenden Rekruten Ausbildung zu betreiben. Wir liegen wieder mal in den letzten Ausläufern des Apennin. Wenn ich am Fenster stehe, sehe ich vor mir die ehemaligen Pontinischen Sümpfe und dahinter das blaue Meer. Einige Hundert Meter hinter uns steigen die kahlen Berge an, belebt von hunderten von Hirten, tausenden von Schafen, Rindern und Pferden. Wir sind nun keine Nomaden mehr, sondern „seßhafte“ Menschen. Morgen werde ich sogar 2 weiße Laken auf mein Bett bringen lassen und zum ersten Mal wieder die Hose ausziehen. Morgen werde ich mir ebenfalls meine inzwischen schwarz gewordenen Füße waschen. D.h., ich vermute, daß sie schwarz sind, lange habe ich sie nicht mehr nackt gesehen. Ich sage schon immer: morgen. Morgen wartet auch wieder ein Wust Arbeit auf mich. Pläne für die beginnende Ausbildung. Lt. Kampmann ist vom Truppenarzt 8 Tage innendienstkrank geschrieben worden. Es geht einfach nicht mehr. Die ganzen Einsätze der letzten Zeit hat er mit der im Lazarett flüchtig verheilten Wunde, mit darnach bei Salerno 2 weiteren Verwundungen (ein Splitter sitzt noch im linken Oberschenkel, 1 Streifschuß am rechten Knie, der absolut nicht heilen will) geführt. Tag und Nacht keine Ruhe für die Wunden und jetzt, wo die Spannung des Einsatzes nachläßt, ist er dann, na ja, er ist eben für 8 Tage fertig. Dazu noch etwas Fieber, Durchfall usw.

Die Fahrt hierher war wieder mal wunderbar. Ich kann das Land immer wieder und immer wieder nur bewundern ob seiner Schönheit. Auf den höchsten Gipfeln lag gestern schon Schnee.

Hier herunter ins Tal wird er wohl den Winter über nicht kommen. Wir sollen jetzt unsere Tropenbekleidung ablegen und wieder Fliegerblau tragen, obwohl es garnicht kalt ist. Nur manchmal regnet es ganz toll. Sowas von Regen – da stürzen regelrechte Wassermassen vom Himmel. Jetzt reifen hier die Apfelsinen. Die Früchte der Oliven, wo das schöne Öl von gemacht wird, fallen in den Dreck, weil sie keiner pflückt. Eßkastanien könnte man zu Millionen auflflesen. Eines ist ja hier hinter der Front unangenehm. Da gibts wieder Ortskommandanturen, Requirierverbote. Man darf nicht einfach das nehmen, was man brauchen könnte, muß sogar noch höflich zu dem Volk sein. Nun wir haben uns doch noch eine gesunde Sprache erhalten. Umlegen darf man allerdings keinen Ittacker mehr. Hast Du übrigens meine beiden Sendungen, die Kiste und den Koffer, bekommen? Kannst Du nicht ein Paar Schuhe umtauschen gegen solche für Dorotheechen? Das arme Wurm mit seinem erkälteten und kranken Hälschen tut mir so leid. Hoffentlich ist es tatsächlich so harmlos, wie Du mir schreibst. Ich traue der Sache doch nicht so ganz und habe große Sorge. Und wenn man bedenkt, daß es zum Teil darauf zurückzuführen ist, daß das arme Kind noch nicht mal Schühchen bekommen kann!!! Wie gern würde man ihm 10 Paar kaufen, wenn es nur gesund würde und man sie kriegen könnte. Vielleicht kann man auch für eine Büchse Fleisch was bekommen?!

Du schreibst in einem Deiner letzten Briefe, wofür recht herzlichen Dank, „manchmal rufe ich mir einen besonders schön verlebten Abend ins Gedächtnis zurück“! Ach, Du glaubst nicht, wie man hier an solche Abende mit Sehnsucht denkt. Besonders, wenn man nachts durch die Gegend fuhr, wenn man in irgendeinem Straßengraben, hinter einem Haus oder sonstwo lag, um vor Granatsplittern geschützt zu sein, dann kamen einem in

dem Bersten und Gekrache der Geschosse die friedlichsten und schönsten Gedanken, man wurde ruhig und dachte an . . . . . . später, wenn man wieder zu Hause ist. Wann wird das sein? Vorläufig habe ich Deine Briefe, die wahrscheinlich durch Postverzögerung seltener werden. Vielleicht ist es Dir aber auch bei dem ständigen Alarm nicht möglich, öfter zu schreiben. Aber nach diesen Briefen hascht man wie nach etwas ganz Kostbarem. Es ist ja auch etwas Kostbares. Ich denke dann manchmal, dieses Stück Papier hast Du zuletzt in der Hand gehabt, hast darüber gebeugt gesessen, es beschrieben mit dem, was Du mir sagen willst. Dann bist Du in solchen Augenblicken ganz nahe bei mir.

Daß Mattes ausgetauscht und zu Haus ist, ist ja prächtig. Daß da die Freude groß ist, kann ich mir vorstellen. Daß die Engländer anständig waren, habe ich nicht anders gedacht. Auch wir kennen sie nur als faire, anständige Kämpfer. Wenn ich dagegen das Ittacker-Volk betrachte. Erst schmusen sie mit uns und dann führen sie in den meisten Fällen als Zivilisten amerikanische Spähtrupps. Gefreut hat es mich, als ich hörte, daß der Tommy in dem Abschnitt, wo wir gesperrt haben, garnicht angreift und das Gelände zu umgehen versucht. Ich möchte die Brüder aber auch mal gern bei dieser Aufräumungsarbeit sehen. Diese Hunderte von riesigen, teils meterdicken, Bäumen zu räumen, dazwischen eine Brücke, die wir gesprengt haben, neu zu schlagen, dann eine ganze Ortschaft, die quer über die Straße gebrochen ist, auf Seite zu räumen, ab und zu auf eine Mine zu latschen, dann wieder Brücke, wieder Bäume usw. - - - na, ich danke.

So, nun will ich schließen. Es ist gleich 2 Uhr nachts und morgen muß ich wieder frisch sein. Ich nehme Dich auf meinen Schoß, drücke Dich fest an mich, küsse Dich innig auf Deinen lieben, guten Mund und auf Deine schöne, liebe Brust. Ich bin immer
Dein Hannes!