Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 9. Oktober 1940

9. Oktober 1940

Meine liebe Elsbeth!

Heute habe ich Deine beiden Briefe, eine Tube Solidox und die beiden Bücher bekommen. Recht vielen Dank dafür. Morgen will ich anfangen, in den Büchern zu lesen.

Deine Briefe bringen mir immer ein Stück „zuhause“ mit und wenn ich sie lese, bin ich immer ganz bei Dir.

Gestern habe ich die restlichen Pickel um die Augen entfernt und mich gleichzeitig in sanitätsunteroffizierliche Behandlung wegen meiner Warze am Ellbogen begeben. Er brennt sie mit ultravioletten Strahlen weg. Wenn ich nun nochmal zu Dir komme, stehe ich dann vor Dir, schön wie ein junger Adonis, nur noch viel schöner. Wenn ich nun noch mein Bäuchlein und etwas Fett wegbekomme, wirst Du mich vielleicht wieder leiden mögen; denn die Steine des Anstoßes sind dann ja weg.

Die Schimmel-Kommisbrote von Franz kenne ich zur Genüge aus der Eifel. Wir haben jetzt aber im Augenblick nicht darüber zu klagen. Aber Marken sind auch bei uns schon eingeführt. - Nur noch keine Punkte. Schreibe mir doch, ehe das Letztere auch geschieht, genau das, was Du brauchst.

Gestern bekam ich auch Deinen Brief von wegen „Lebendgewicht“. Du glaubst gar nicht, wie ich mich über diese Tatsache freue, daß Du durch meinen Urlaub so zugenommen hast. Bin ich also doch zu noch was nütze. Ja, ich bin ein tüchtiges Mannchen. Wenn alle Ärzte versagen, aber meine Kunst versagt nicht, wenn

ich sie nur persönlich anwenden kann. Auf meine Tüchtigkeit bin ich außerordentlich stolz.

Heute ist ein Kamerad, der den ganzen Tag auf der Schreibstube ist, als geschlechtskrank ins Revier gekommen. Es ist sonderbar, das Gefühl, wenn man bedenkt, daß man den ganzen Tag zusammen ist und auch in einem Hause schläft. (Es ist aber niemand, den Du dem Namen nach oder aus der Erzählung her kennst.)

Außerdem lieferten wir einen ins Lazarett ein, der Schizophrenie hat. Er redete schon lange davon, daß er Christus oder Adolf Hitler sei, besonders, wenn er einen im Kaps hatte. Nun ist er auf der Fahrt in den Urlaub unterwegs aufgegriffen und ins Lazarett eingeliefert worden. Zuletzt hatten wir immer Angst, er würde sich ein Leid antun. Gottseidank ist er ja nun in Sicherheit.

- Hat Frau Wegener [die Frau des „Chefs“] noch nichts von sich hören lassen?

Und nun will ich mich, da es schon sehr spät ist, auf meine „Schäselong“ begeben und hoffen, daß ich etwas Schönes von Dir träume. Aber, Du weißt ja, daß dieser Wunsch fast nie in Erfüllung geht. Ich will daher warten, bis ich Dich nicht nur im Traum, sondern in Wirklichkeit in meinen Armen halte und Deinen Kopf an meine Brust legen kann. Ich gebe Dir noch einen ganz jungen, verliebten Kuß und bin immer Dein getreuer
Hannes