Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 20. Juni 1940

20. Juni 1940

Liebe Elsbeth!

Gerade bekomme ich Deine beiden Briefe vom 12. und 13. Juni. Wie habe ich mich wieder darüber gefreut. Besonders auch darüber, daß Dorotheechen so putzig ist mit Zähnchenputzen usw. und vor allen Dingen, daß sie mich so gern hat und immer an mich denkt. Gib ihr dafür einen allerliebsten Kuß und halte mich bei ihr auch weiterhin in einem so schönen Gedächtnis. Du schreibst von Urlaub etwas. Liebe Elsbeth, schlage Dir das vorläufig aus dem Kopf; es ist vorläufig ja doch nicht daran zu denken und macht einen nur noch sehnsüchtiger, wie es ohnedies schon genug ist.

Heute war ich mit dem Kompanieführer in . . . , wo unser Batl.-Stab und die Zahlmeisterei liegt. Wir waren da u. a. in einer wunderbaren Villa. Ja, diesesmal muß ich tatsächlich das Wort „Villa“ gebrauchen. Der Boden schöne Mosaikarbeit, an den Wänden kostbare Gobelins und sehr schöne und kostbare Gemälde. Alte geschnitzte Schränke, ein Porzellan, wie ich es noch nie gesehen habe. Stühle, mit buntem Leder überzogen, jedes Stück meines Erachtens ein Wert wie unser ganzes Wohnzimmer. Auf den Betten Daunendecken, die man zusammengepackt kaum in der Hand spürt. In jedem Raum auf den Marmorkaminen antike Uhren. Vor allen Dingen hatten es mir aber die Gemälde angetan. Es war fast wie in einem Märchenschloß. Nun kommt der riesige Park. Etwas Schöneres kann man sich kaum an Parkanlagen vorstellen. Unser Leutnant sagte: „Das ist richtige französische Gartenkultur.“

Und auf der Landstraße sahen wir dann den Gegensatz. Die arme Bevölkerung kehrt in Scharen wieder in ihre vor einigen Tagen noch heiß umkämpfte Heimat zurück. Alte Männer und Frauen schieben in Kinderwagen oder kleinen Handwagen und Schürreskarren armselige Habseligkeiten vor sich her. Und wie abgerissen sehen sie aus. Die Männer unrasiert, Frauen in Kleidern denen man die Nächte in den Wäldern ansieht, Mädchen in weggeworfenen Drillichhosen der Soldaten und alles starrt vor Schmutz und Elend. Wir waren auch Zeuge, wie 2 Familien vor ihren alten Wohnstätten ankamen. Einer Frau von ungefähr 75 Jahren rannen beim Anblick ihres gewesenen Hauses unaufhaltsam die Tränen.

In einem Dorf wurde erzählt, daß sie vergangene Woche von französischen Soldaten alle herausgetrommelt worden wären mit dem Befehl, für einige Tage Verpflegung mitzubringen. Alle dachten natürlich, die „furchtbaren Deutschen“ kämen und sie müßten fliehen. Und als sie nun alle dastanden, wurde ihnen von ihren eigenen Soldaten die ganze Verpflegung abgenommen, die darauf davonfuhren.

Und nun noch etwas von den „furchtbaren“ Deutschen. Es zeigt sich hier doch, daß der Deutsche ein gutes Gemüt hat. Wo ein Soldat denselben Weg mit einer zurückführenden Familie hat, schiebt er den Kinderwagen, oder nimmt sie im Lastwagen mit. Viele Franzosen sagen, daß sie von ihrer Regierung für dumm gehalten worden wären.

Liebe Elsbeth, wenn wie wäre ich froh, wenn ich bei Dir wäre, aber wie hätte ich mich schämen müssen, wenn ich den Krieg in Godesberg in Freuden verlebt hätte, während alle die vielen Kameraden jeden Tag ihre Pflicht tun, um unsere Familien vor dem gräßlichen Schicksal zu bewahren, daß nun das französische Volk betroffen hat. Du weißt, ich bin nicht fantastisch, aber hier überkommt einen dieses Gefühl ganz von selbst. Und wenn ich demnächst zu Euch beiden zurückkehre, haben wir, Du und ich, das frohe Gefühl, daß ich meine Pflicht

 

für das unsere Heimat und für Dich und Dorotheechen getan habe. Und wir brauchen uns dann vor keinem Menschen zu schämen.

Ich gebe Dir nun einen festen Kuß und sage Dir mit einem frohen „auf Wiedersehen", daß ich immer Dein treuer und guter und Dich verehrender Hannes bin.

 

Schicke mir doch bitte so bald als möglich Filme, und zwar möglichst viel. Hier ist nichts zu bekommen, denn brauchen könnte ich sie gut. Keine Ausgaben und doppelte Löhnung für Frontzulage.