Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 8. Juni 1940

8. Juni 1940

Liebster Moritz

Jetzt sind schon 8 Tage vergangen ohne Post von Dir. Am Batl. sagte man, daß es auch nochmal weitere 8 Tage dauern könne. Das ist für mich recht schmerzlich. Hoffentlich geht es Dir und Dorotheechen noch so gut wie mir. Wir leben hier nämlich wie ein „Gott in Frankreich“. Unter uns ist ein Zug, die sich 400 Eier an einem Tag „besorgt“ haben. Gestern, nein vorgestern, hatten wir zu 5 Mann ein Kaninchen, 12 Eier, Kartoffeln und eingemachtes Bohnengemüse, zum Nachtisch eingemachte Kirschen und darnach Likör und Rotwein. Ein Gastwirt aus unserer Kompanie sagte, daß die besagte Flasche Likör in Deutschland 16,- RM koste. In einem Wein­keller waren Fässer Rotwein, das Lieblingsgetränk der Franzosen, leergelaufen. Der Kellerboden war in Höhe bis zum Knie mit Wein gefüllt. Gänse, Kaninchen, Hühner usw. liegen in Massen verhungert in ihren Ställen und die herumlaufen, verschwinden nach und nach in den Kochtöpfen der Soldaten.

Gestern war ich einmal mit zur Baustelle. Es war ein wunderbar sonniger Tag. Hier hatte, wahrscheinlich zu Anfang, anscheinend ein heißer Kampf stattgefunden und die Franzosen sind nachher Hals über Kopf abgezogen. Eine feindliche Batterie mit Stapeln von Munition, 2 zerschossene Tanks, kaputte Fahrräder u. Autos, Granaten u. Pakmunition, in den Schützengräben u. M.G. Nestern, weggeworfene Zeltbahnen, Mäntel usw. fanden wir noch vor.

Vorgestern waren wir mit der ganzen Kompanie schwimmen. Das Strandbad mit einem regel­rechten Sprungturm ist in die Maas hineingebaut. Es ist das erste mal in meiner Soldatenzeit, daß ich gesprungen habe — und es geht noch immer. Nach dem heißen Tage hat es mal richtig gut getan. Nur hatte man vom Bad aus einen unschönen Blick auf eine gesprengte Brücke und auf viele Häuserruinen.

Man bekommt hier eine komische Einstellung sämtlichen Werten gegenüber. Gestern kam jemand zu unserer Ordonnanz und frug, ob er ihm den Radioapparat nachsehen könne. Da es schon spät war hatte der natürlich keine Lust und sagte: „Ach nimm Dir schon den da mit.“

Und dabei handelt es sich um Apparate im Werte von 400,- RM schätzungsweise.

Nun, liebe Elsbeth, küsse ich Dich und Dorotheechen wieder mal nach Herzenslust, gerade so, wie es dem „Egoist Mannchen“ gefällt (aber Frauchen gefällt es doch nicht minder). Ich halte dich ganz fest und denke immer, daß Ihr beide mein ein und alles seid. Ich hab Euch immer lieb und bin Euer getreuer

Hannes und Vati!