Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 26. Juni 1943

26. Juni 1943

Meine liebe Elsbeth!

Heute bekam ich Deine beiden Briefe vom 16. u. 20. Juni und den Kartengruß Dorotheechens vom Drachenfels. Du mußt Dorotheechen loben und ihm etwas sagen, was ich daraufhin geschrieben hätte.

Etwas Schönes hier ist das wunderbare Obst. Pflaumen, Kirschen, Pfirsiche, Aprikosen, Apfelsinen. Durch die starke Sonne ist das Obst alle gut reif und zuckersüß. Aprikosen sind so groß, wie bei uns kleine Pfirsiche. Wenn man es irgendwo liegen sieht, möchte man immer kaufen. Doch auch Obst ist hier teuer. Ferner etwas Schönes: in den Ortschaften die Eissalons. Sie sind hier, wie zu Hause die Cafe’s, nur viel einfacher und starrend vor Schmutz. Durch einen Schwarm von Fliegen geht man zur Theke. Wie das alles aussieht. Ob Du da noch Appetit hättest, ist wohl fraglich. Aaaber, das Eis – wie bei Eissalon Koblenzerstraße. Nur daß hier eine Portion zu 0,20 5 Lire (= 0,65) kostet. Ich habe mir bei Braun schon Geld geliehen. Neapel und Pompeji hatte meine sparsamsten Berechnungen über den Haufen geworfen.

Im Augenblick müßtest Du mich einmal sehen. Ich habe mir, allerdings notgedrungen, den Schnurrbart stehen lassen. Vom Obst essen habe ich unter der Nase und bis tief in die Nase herein, einen dicken Ausschlag bekommen, sodaß ich mich unter der Nase nicht rasieren kann. Der Ausschlag sieht häßlich, dagegen der Schnurrbart gar nicht schlecht aus. Überhaupt sehe ich die letzte Zeit idyllisch aus. Durch die mehrmalige Schälung der Haut sieht man gesprenkelt aus. Die älteste Haut ist dunkelbraun. Die im Abblättern begriffene Haut weiß, bezw. fussig, die neue Haut etwas helleres braun und wo die alte gerade abgeblättert ist, rosa. Das Ganze ist nun teils auch schmutzig (kniestig). Der schmutzige Schweiß, durch Einölen fettig, vermischt mit Staub, geht so mit Seife gar nicht ab. Man müßte schon für die Arme die Bürste nehmen. Da die „rosa gefärbte“ aber äußerst empfindlich und schmerzhaft ist, kann ich leider noch nicht mit der Bürste

drangehen. Du siehst, man hat so seine „Sorgen“.

Der Dienst hier beim Übersetzzug ist, wenn auch nicht so soldatisch, aber bequemer als bei der Kompanie. Man braucht nicht mehr einen ganzen Morgen oder tagelang durchs Gelände zu watzen, höchstens einmal die Woche beim Inf.-Dienst. Aber sonst: Sturmbootpflege, Reparaturen, Bau der Fähren oder des Kradschützensteges, ebenfalls Reparaturen an Letzteren, Appelle bei diesen Sachen. Ich habe mir nun innerhalb einiger Tage mit LKW’s das gesamte Gerät zusammentragen lassen und jetzt sitze ich wie ein kleiner König mitten in meinem Reich, habe alles um mich herum, etwa so:

[Zeichnung des Lagers]

1.) Floßsackfähre I (Holz)
2.) Großes Zeltdach, darunter Floßsäcke, Paddel, Pumpen, Leinen u. Taue usw.
2a.) noch Kleingerät
3.) Kradschützensteg
4.) Bootsmotore
5.) Floßsackfähre II (Holz)
6.) In Reparatur befindl. Bootskörper
7.) ein LKW
8.) Zelt m. abgezäuntem Vorraum, Tisch, Bänke f. Braun, mich u. die beiden Putzer
9.) erstes Mannsch.-Zelt
10.) zweites “ “
11.) Zelt f. Bootsgeräte

Das Einzige, was hier nicht zu meinem Zug gehört, ist Braun mit seinem Putzer. Entfernung vom Fluß bis N° 5, also die „weiteste“ Strecke ist etwa 50 m.

Nächste Woche fahren wir wahrscheinlich nochmal mit den Booten ans Meer, das macht wieder Spaß. Hier in dem Fluß können wir nicht üben, weil er zu flach ist. Die Kühlung versandet dabei immer. Von meinem Zeltplatz habe ich einen schönen Blick auf die Apenninen, speziell auf die kahlhäuptigen Abruzzen.

Mein Putzer ist schon mal bei der Überfahrt nach Afrika „abgesoffen“, ist aber einer der Glücklichen, die gerettet wurden.

Ich sehe eben, daß ich eingangs ganz nüchtern den „Empfang der Briefe“ bestätigt habe. Du weißt, daß ich Dir dafür danke und wie sehr ich mich darüber freue. Jetzt ist wieder die Zeit, wo man Tag für Tag mit gespannter Erwartung nach der Post Ausschau hält. Das war natürlich auch in Deutschland so, aber hier, im Ausland, bei einer neuen Einheit, in einem einsamen Zeltlager, ist das doch wieder was Anderes. Wie bedaure ich, daß ich Dich in letzter Zeit manchmal habe lange warten lassen, jedoch, liebe Elsbeth, glaube mir, es war mir dann tatsächlich nicht möglich. Entweder lag ich vollkommen erschöpft, oder es war kein Licht. Und bei dem Lehrgang haben wir ja bis in die Nacht hinein geschafft, obwohl es mir manchmal so war, daß ich, wäre ich auf dem Büro in Godesberg gewesen, mich einfach krank gemeldet hätte. Das ist nun Gottseidank alles überstanden und ich erfreue mich des besten Wohlseins. Sogar an die Hitze habe ich mich bald gewöhnt. Als Entschädigung für die briefeleeren Tage sollst Du in den nächsten Tagen eine Überraschung haben. Denke aber nicht, es seien vielleicht ein Paar Strümpfe oder was Ähnliches. Geld hat es nicht gekostet.

Weißt Du, was ich noch gerne hätte? Einen stabilen, tiefen Teller. Entweder aus dickem Porzellan oder Steingut, besser aber noch aus Alluminium oder Emaille; dann eine Gabel, Löffel u. Messer und eine kl. Bratpfanne. Hier ist sowas nicht zu kriegen. Lediglich ein ganz einfaches Aluminium-Besteck hätte ich kriegen können für 60 Lire (= etwa 8,00 RM). Ich sehe mal, ob ich noch Zulassungsmarken erwischen kann. Eine Bratpfanne wirst Du ja wohl kaum

kaufen können. Vielleicht ist bei uns zu Hause noch eine.

Hast Du den Brief mit den beiden Zulassungsmarken und dem Foto bekommen?

So, und nun grüße und küsse ich Dich, liebe Elsbeth, ganz herzlich und innig. Ich bin immer
Dein Hannes.