Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 17. Juli 1940

17. Juli 1940

Meine ganz liebe Elsbeth!

Ich habe heute 2 Päckchen an Dich abgesandt mit „entströmendem Duft“! Laß es Dir gut bekommen. Sie tragen die Nummern 3 und 4. Gestern bekam ich Deinen lieben Brief vom 10. Juli (ohne No.). Der Brief davor ist vom 2. Juli. Also erwarte ich jetzt noch die Dazwischenliegenden.

Über Deinen lieben Brief habe ich mich wieder sehr gefreut; das kannst Du Dir doch denken, nicht wahr? Besonders schön ist es, wenn ich immer wieder höre, wie Dorotheechen an mir hängt und wie sie es zum Ausdruck bringt. Ich habe sie dafür auch herzlich lieb.

Nun liegen wir schon über eine Woche an derselben Stelle. Das ist seit unserem ersten Einrücken noch nicht dagewesen und es fängt langsam an, langweilig zu werden. Neues kann ich Dir daher nicht schreiben.

Langsam beginnt die Bevölkerung, wieder anspruchsvoll zu werden. Man merkt es aus ihrem ganzen Benehmen. Das ist aber sicher deshalb, weil die das Militär so gut ist. Gestern ist sogar die N.S.V. hier eingerückt und teilt schon Mittagessen aus und sorgt auch für andere Bedürfnisse. Es ist ja traurig, wenn man bedenkt, daß die Franz. Regierung ihre Leute darben läßt und wir den Leuten helfen müssen, sie vor dem allerbittersten Elend zu bewahren. Wenn ich dagegen denke, wie die franz. Besatzungstruppen nach dem Weltkrieg im Rheinland gehaust haben. . .

Leni und Mutter schreibe ich. Du kannst mich auf solche Tage immer früh genug aufmerksam machen, da einem hier die Zeit und Tage vollständig durcheinander kommen. Z. B. weiß man nie, was für ein Tag es ist, Samstag, Mittwoch oder Sonntag. Bis auf einmal einer sagt: „Ich jlöv, hück hamma och Sonndaag!“

Unsere Verpflegung ist besser geworden. Eine Zeitlang haben wir nur Käse aufs Butterbrot bekommen. Und jetzt gibt es abwechselnd (alles in Dosen) Blutwurst, Leberwurst, Fleisch und Schmalz. Allerdings war das nicht immer tragisch, da man ja einfach rohen od. gekochten Schinken oder sonstwas kaufen kann. Mittags gibts in der Feldküche immer abwechselnd Bohnen, Linsen und Erbsen. Gemüse oder Salat oder sonstwas Frisches fehlt. Aber deshalb lassen wir uns keine grauen Haare wachsen. Wir schauen alle gläubig in die Zukunft.

Und ich sehe auch den Tag, an dem ich mein geliebtes Frauchen mal wieder so richtig in die Arme nehmen kann und herze und drücke und küsse nach Lust. Im Geiste tue ich es ja oft, ja jeden Tag — aber das Praktische und Wirkliche ist ja doch nicht zu verachten. Wieviel Männer suchen sich hier etwas anderes und wie schön ist es doch für uns beide, daß wir alles aufsparen, bis wir wieder beisammen sind. Wieviel ist da nicht alles nachzuholen und Du darfst Dich daher später über mein Ungestüm nicht wundern. Du mußt einfach mitmachen, auch wenn Du nicht willst. Aber Du willst ja, das weiß ich bestimmt, so gerne. Und mit Dorotheechen werde ich spazieren gehen und ihr eine schöne Wiese zeigen, wo sie all die schönen Blümchen pflücken kann und der guten Mutti ein so schönes Sträußchen in ihrem kleinen Patschhändchen mit einem goldigen Plappern hinhält. Wie bin ich froh, daß wir Dorotheechen haben.

Liebe Elsbeth ich küsse Dich ganz herzlich überall dahin, wo Du möchtest und wo Du mit Deinen Händen meinen Kopf an Dich drückst. Ich bin immer
Dein getreues Hannes