Hannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 12. Juli 1944

12. 7. 44

Meine liebe, liebe Elsbeth!

Wir haben gerade eine Geländeübung. Ich gehöre zum „Feind“ und wir liegen 600 m vor der angreifenden Truppe im Heidekraut und haben jetzt eine halbe Stunde nichts anderes zu tun als zu liegen und zu „beobachten“. In meiner Brieftasche habe ich dieses Stück Papier gefunden und benutze es dazu, Dir dieses vollzuschreiben. Heute Abend komme ich nämlich wieder nicht zum Schreiben, da eine Nachtübung steigt.

Erst nun mal herzlichen Dank für Deine letzten beiden lieben Briefe. Wie ist die Röntgenaufnahme ausgefallen. Kann man etwas gegen Deinen Magen unternehmen?

Daß die Schuhe nicht angekommen sind, ärgert mich gewaltig. Hoffentlich sind sie nicht „verloren“ gegangen. Ob wir nach dem Lehrgang Urlaub bekommen, weiß ich nicht. Ich hoffe aber, daß wenigstens auf der Fahrt nach Italien wieder, wenn auch nur eine kurze Zeit, herausspringt. Ich kann ja schließlich nicht die ganzen Bücher mit nach I. schleppen. Am Freitag hatten wir unser Bergfest. Die Hälfte ist nun schon überschritten. Das Fest war fabelhaft. Es wurde von Kameraden aufgezogen und gestaltet. Aber wie. Es war sehr schön.

Mit meinem Alter sehe ich immer noch so schwarz wie am ersten Tage. Man läßt uns mitmachen, ja, aber ich meine, man ließ uns eher „mitlaufen“.

In den letzten Tagen haben wir schon mal öfter abends etwas Freizeit. Dies wurde von uns selbst angeregt, damit wir schon mal draußen zu Abend essen können, denn unsere Portionen sind nicht darnach angetan, unsere Mägen voll und ganz zu befriedigen. Ich gehe dann aus, esse etwas, spiele mit einem Kameraden eine Partie Billard und gehe dann wieder heim. Um 10 Uhr müssen wir wieder drinnen sein. Anschließend wird noch gearbeitet.

Jeder Lehrgangsteilnehmer mußte ein beliebig gewähltes Thema angeben, worüber er ½ Stunde sprechen soll.

Ich habe angegeben: „Die bildende Kunst.“ Im Laufe der letzten beiden Wochen werden die Vorträge nacheinander aufgerufen und gehalten.

Und nun, liebe, liebe Elsbeth, sage ich Dir, wie schrecklich gern ich Dich habe und welche Sehnsucht. Unter den vielen Menschen komme ich mir – wie jetzt im Augenblick – so entsetzlich einsam und alleinstehend vor. Ich möchte wieder ganz bei Dir sein und meinen Kopf ganz ruhig und geborgen an Deine Brust legen und mit Dir zusammen einschlafen.

Ich küsse Dich ganz innig auf Deinen lieben guten Mund u. bin immer Dein Hannes.