Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 28. Juni 1943

28. Juni 1943

Meine liebe Elsbeth!

Zuerst recht herzlichen Dank für Deinen lieben, langen Brief. Das mit Anna ist ja dumm. Erst mal wegen Anna, dann aber auch hat nun Vater alles alleine am Hals. Wäre das nur mit der Backerei [Hannes’ Vater besitzt eine Bäckerei] geregelt. Und daß es Dir nun so schlecht dadurch geht und daß Dorotheechen krank feiert, beunruhigt mich doch. Auch, wenn Du das alles so harmlos darstellst, beruhigt mich nicht so ganz. Mir geht es fortlaufend gut. In meinen freien Abendstunden habe ich mir eine Freude für Dich ausgedacht. Ich habe „gemalt“ und gezeichnet. „Ausstellungsreif“ sind die Sachen natürlich nicht. Aber ich habe mich bemüht, Dir einen Eindruck über Verschiedenes hier in Italien zu vermitteln. Es ist darin ein Querstreifen über mein Leben und meine Umwelt enthalten. Da ist erstens mal das alte Fischerörtchen, ein ehemaliges Kastell, von dem ich Dir schon schrieb, zweitens ein alter, romanischer Hauseingang in demselben Städtchen. Drittens ein Sturmboot, mein jetziges Leben, in Fahrt. Viertens mein Zeltplatz mit Aussicht auf die Abruzzen. Fünftens ein schönes Haus am Fuße der Abruzzen, sechstens die alte Kirche im Ort, wo wir im Augenblick liegen.

Leider habe ich an Farbstiften nicht viel, nur das, was man zum Kartenzeichnen in der Meldetasche mitführt. Außerdem ist die Technik bei den Bildern schlecht. Aber ich bin ja nun kein Maler. Zweck ist ja nur, Dir den Eindruck, wie es hier um mich steht und um mich aussieht, zu vermitteln. Und habe ich mir nicht Mühe gemacht? Jede freie Minute, noch abends spät bei der Karbidlampe war ich bei meiner Malerei. Trotz der Mangelhaftigkeit bin ich aber ganz „stolz“ auf mein „Werk“. Hast Du noch einige „Stifte in bunt“ da? Zwei Zulassungsmarken habe ich nochmal ergattert und füge sie hier bei.

Heute habe ich nochmal einen Führerschein gemacht, Klasse I für meine schwere Motorräder. Die Fahrschule hatte ich also die letzten Tage auch noch am Halse. Aber ich bin froh, daß ich ihn habe. Wenn ich später mal nach Hause komme, lasse ich mir den Schein auf Zivilführerschein umschreiben.

 

Die Zeichnungen sind in der Hauptsache aus leicht verwischbarer Kohle. Also Vorsicht!

Es ist doch was Anderes, mit einer schweren Maschine mit Beiwagen zu fahren, als mit der 200er Zündapp. Außerdem springen die Maschinen an.

Dadurch, daß es mir wieder gut geht, habe ich einen „sehr gesegneten Appetit“. Den kennst Du ja. Wir haben einen ausgezeichneten Koch. Außerdem ist meine neue Spezialität „braten“.

Ich lasse mir öfter in der Küche ein paar gekochte Kartoffel, (oder rohe), oder übrig gebliebene Nudeln extra holen, leihe mir eine Bratpfanne, der Putzer macht Holz klein, eine Feuerstelle

ist auch gemacht. Zwiebel gibts wie der Sand am Meere. Dann die halbe Portion Verpflegungsbutter in die Pfanne, zwei apfelgroße Zwiebel hineingeschnitten, schön anbraten lassen, dann Kartoffeln oder Nudeln und wenn die bald gut sind, in einer Ecke die Verpflegungsbüchsenwurst gebraten. So könnte ich, wenn das Klima nicht wäre und der stramme Dienst, „dick und fett“ werden.

Du siehst, wie gut es mir geht.

Eine Plage sind die Fliegen. Besonders in den kurzen Hosen hat man was auszustehen. Auch Spinnen gibts viel. Während ich dies schreibe, sitzt oben rechts in der Ecke eine große, schöne, grüne Heuschrecke. Die springen überall herum. Oft hat man sie zwischen Fußgelenk und Schuhen. Sie springen herein und werden plattgedrückt. Abends muß man den getrockneten, plattgedrückten Brei aus den „weißen“ Söckchen herauskratzen.

Etwas scheuer sind die unendlich vielen, schönen grün-bunten Eidechsen. Auf Schritt und Tritt huschen sie vor einem her, sonnen sich im Sand, huschen, besonders in der Mittagshitze gern auf die oberste Zeltspitze und sonnen sich da. Es sind sehr schöne, appetitliche Tiere. Abends und nachts ist draußen ein Gezirpe wie ein dauerndes, scharfes Summen von Grillen, Heuschrecken, Eidechsen.

Nun, liebe Elsbeth, grüße ich Dich herzlich und küsse Dich innig auf Deinen lieben,

guten, schönen Mund. Ich bin immer
Dein Hannes.