Hannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 21. September 1939

21.9.39

Lieber Moritz!

Zuvor einen herzlichen Gruß und festen Kuß von deinem Mannchen. Bezüglich des Schreibens sage ich Dir, daß dies hier unter den schwierigsten Verhältnissen geht. Am Tag kommt man begreiflicherweise nicht dazu und abends sitzen wir zu 40 Mann unter einer Stallaterne im Stroh. Da wird Skat gespielt, Schach und Ringkämpfe ausgetragen. Du kannst Dir denken, daß das Schreiben dabei unmöglich ist. Außerdem ist das noch mit meiner Hand, die in einer Schiene liegt, recht

Aber jetzt mal zu Dir und Dorotheechen. Auf einen Brief von Dorotheechen wäre ich mal sehr gespannt. Ich kann mir lebhaft denken, wie sie mit dem Blei­stift ihre Briefe schrömt. Auch das Photografieren kann ich mir lebhaft vorstellen. Aber recht lecker sind die Bildchen geworden. Weshalb kommt Frau Kremer nicht mehr?

Ist das nicht für Dich zu anstrengend? Es ist schade, daß Du den Gruppenführer Faßbender nicht angetroffen hast. Er hätte Dir so einiges von hier erzählen können. Gestern haben wir hier die Hitler-

rede am Radio gehört, daß das mit Polen so rasch gegangen hat, hätte ja doch kein Mensch gedacht.

Im Moment erinnere ich mich eines denkwürdigen Augenblicks. Kurz nachdem wir ankamen leisteten wir den Eid. Vierhundert Mann sprachen geschlossen: „Ich schwöre bei Gott, daß..." Drei Mann hatten sich ausgeschlossen, weil sie nicht auf Gott schwören wollten. — Na ja —

Liebe Elsbeth! Wenn ich auch nicht so oft schreiben kann, könntest Du mir doch desto öfter schreiben. Wenn

es geht, jeden Tag. Dein letzter Brief ist der vom 10. September.

Ich sollte auf Schreibstube kommen, aber wegen meiner Hand haben sie einen anderen genommen. Ich bin schon froh, denn der Dienst draußen in der frischen Luft, Freiübungen und Exerzieren, sowie die Arbeit auf der Baustelle tut mir wirklich gut. Für meine Büroknochen ist dies mal angebrachter.

Nun, liebe Elsbeth, will ich schließen. Nochmals herzlichen Gruß an Dich, Dorotheechen und die anderen und viele Küsse (aber nicht an die anderen) von Deinem

Mannchen

Frau Kremer war Haushaltshilfe bei Ließems.