Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 5. Juli 1943

6. 7. 43

Meine liebe Elsbeth!

Ja, ich habe mich vertan. Wo „Liebe…“ steht, wollte ich das Datum hinschreiben. Aber das kommt davon, wenn man nur an „meine liebe Elsbeth“ denkt. Da Schreibpapier knapp ist, lasse ich es bei diesem verkehrt begonnenen Brief.

Also, ich habe immer noch keine Post bekommen und höre, daß unsere gesamte Post verkehrt geleitet worden ist. Soll aber schon das Nötige zur Rückleitung veranlaßt sein. Ich vermute, daß dabei ausgerechnet auch das Paketchen mit dem Kuchen ist.

Heute waren wir wieder mit den Sturmbooten auf dem Meer. Das ist der schönste Dienst, den ich im Augenblick kenne.

Heute ist, wenigstens gegen Abend, eine herrliche Luft. Wunderbar, gar nicht heiß. Es ist etwa 8,00 Uhr. Ich sitze draußen im Freien im Schatten und habe nichts weiter an, als die Badehose. Sogar die Turnschuhe habe ich ausgezogen. Manchmal weht sogar, allerdings fast unmerklich ein frisches Lüftchen, das einen etwas erfrischt. Jetzt müßten einen nur die Fliegen und Ameisen in Ruhe lassen. Dann wäre das körperliche Wohlbefinden vollkommen. Eben war ich nochmal leichtsinnig. Ich habe mir, ungeachtet der 100 Lire Schulden, die ich habe, ein Kilo Obst gekauft. Herrliche Aprikosen und Ringelotten.

Vorgestern, auf den Sonntag, habe ich im Schweiße meines Angesichtes ein Bilderrähmchen gezimmert. Ich habe einfache Abfallbretter genommen und die dann gebrannt und mit der Stahlbürste bearbeitet. Du weißt doch, wie unsere Truhe. Als Glasscheibe habe ich mir eine kleine Zelluloidplatte aus irgendeinem Gerätekasten organisiert und nun hängt das alte liebvertraute Bild von Dir und Dorotheechen von Weihnachten 1939 wieder auf. Ich habe es an die Zeltgiebelwand mitten drin im Zelt aufgehängt. Erst wollte ich schon mal das neue aufhängen, aber dann habe ich’s mir doch wieder anders überlegt. Es ist nämlich das Bild, was mich die ganzen Kriegsjahre sichtbar begleitet hat. Lagen wir auch nur ein paar Tage irgendwo fest, wurde es aufgehangen oder aufgestellt. Und so ist es noch von sämtlichen Bildern das vertrauteste.

Übrigens habe ich jetzt ein Buch nochmal angefangen. „Das neue Reich“ von Gmelin. Es handelt von dem Einbruch der Goten ins Römische Reich und überhaupt von der Völkerwanderung. Ich bin noch nicht weit, aber schon der Anfang ist sehr gut.

Inzwischen bin ich mal die 25 Schritte vom Zelt zum Fluß gegangen. Es herrscht da abends immer ein reges Leben. Kleine Jungen kommen zum Baden, Mädchen und Frauen zum Wäschewaschen. Männer und halbwüchsige Burschen treiben Pferde, Esel und Büffel (wie unsere Ochsen), auch Schafe zur Tränke, Fischer holen ihre Angel, Reusen und Netze ein. Italienische Soldaten kommen zum Baden, sprechen etwas zu uns, sehen sich unsere Boote, Waffen und Geräte an. Ein buntes, sehr, sehr buntes und lebendiges Bild. Dazwischen mußt Du Dir noch unsere Männer vorstellen, wie sie baden, Wäsche waschen, zuschauen, Kochgeschirre ausspülen.

Ach, nun muß ich Dir noch etwas erzählen. Am Sonntag-Nachmittag haben wir, Feldw. Bloos und ich, gefischt und haben etwa 8 Pfund wunderbare Fische zusammengekriegt. Die haben wir uns braten lassen. Unsere Fettportionen hatten wir z. T. zusammengelegt, in der Küche gabs Mehl zum Pannieren. Darnach noch in der Pfanne, na, man kann sagen, eine ganze Pfanne voll kleingeschnittenen Zwiebel fertiggemacht, dazu Kartoffelsalat. Zu 6 Mann haben wir nachher geschmaust und ich habe mich nachher geärgert, daß ich dicksatt Fisch gegessen war, so gut haben sie geschmeckt. Sie waren aber auch butterweich gebacken. Jetzt noch läuft mir das Wasser im Munde zusammen, wenn ich daran denke.

Jetzt kommt man überhaupt oft auf Dinge, die man früher auf Fahrt gemacht hat, Öfchen bauen, Braten, Fischen, den fremden Leuten zusehen, in Badehose herumlaufen, die Landschaft mit ganz anderen Augen ansehen, als man das bisher im Krieg getan hat. Eben war ich wieder ganz versunken in einen Anblick. Ich möchte so Vieles malen, aber ich kann es nicht. Z. B. jetzt grade, ich saß mit Braun noch draußen. Ich hatte aufgehört zu schreiben, da es dunkel wurde und wir noch kein Licht machen wollten. Wir saßen an unserem roh gezimmerten Tisch uns gegenüber, sprachen von Verschiedenem. Seine Umrisse stachen silhouettenhaft gegen den Himmel. Rechts die Silhouette des Zeltes, in der Ferne die vom Mondlicht übergossenen Berge, der Mond selbst als helle klare Sichel am Himmel und daneben ein einziger, großer, heller Stern.

Ich war in den Anblick des Pfeifenrauchenden und der Landschaft ganz versunken.

Du wirst denken, und sowas nennt man Krieg. Ja, es ist nun mal so, wo kein Feind ist und nicht im Ernst geschossen wird, kommen einem direkt wieder andere Gedanken. Und darüber freue ich mich wieder, sehe ich doch, daß der alte, frühere Mensch nicht so ganz begraben ist. Auch wirst Du vielleicht denken, die haben nicht viel zu tun. Aber, daß ich meinen Dienst, der für mich durch die Selbständigkeit viel schöner und interessanter, vor allen Dingen recht befriedigend ist, so versehe, wie es sich gehört, brauche ich Dir nicht erst zu versichern. Vielleicht ist es auch die Selbständigkeit, die sich naturgemäß auf den Menschen auswirkt die einen nun schon mal öfter an was Anderes denken läßt. Vielleicht aber auch ist es das alte Zelt- und Lagerleben von früher. Aber, weißt Du, was noch schöner wäre? Rate mal!

So, liebe Elsbeth, jetzt nehme ich Dich einmal fest an mich und herze und küsse Dich nach Herzenslust. Ich küsse Dich dabei ganz andächtig und innig auf Deinen lieben, guten Mund und auf Deine liebe, warme und weiche Brust. Ich bin immer
Dein Hannes.