Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 5. September 1943

5. September 1943

Meine liebe, liebe Elsbeth!

Nun ist seit gestern Regenwetter. Aber sowas! Das rauscht nur so vom Himmel herab in Strömen. Ein Glück, daß wir unser Zelt haben. Dazu gewittert es, Blitze zischen, Donner krachen. Und zu allem Überfluß kamen gestern noch die Flieger dazu und das Krachen der Bomben vermischte sich mit dem Donner.

Gestern bekam ich, recht herzlichen Dank dafür, Deinen Brief vom 26. August. Es ist doch tragisch, trotzdem ich lachen mußte, daß man Dorotheechen nicht tatsächlich einmal eine „ganze Wurst“ in das kleine Patschhändchen drücken kann. Und wenn sie dann die Wurst ins Fäustchen nimmt und mal herzhaft hineinbeißt, daß ihr die Bröckchen so am Mündchen herunterkullern und die Äuglein leuchten, muß das ein schöner Anblick sein. Wenn ich mal

in Urlaub komme, können wir ihr den Wunsch mal erfüllen – hoffentlich – . Wenn ich dann meine 3 Büchsen „Erspartes“ mitbringe, können wir ja mit Marken mal eine kleine Wurst erübrigen. Ich freue mich schon jetzt darauf.

Gottseidank, daß bei Dir das Erbrechen endlich aufgehört hat. Wenn man so getrennt ist, ist einem das Wissen, daß es dem Anderen schlecht geht, schlimmer, als wenn man dabei ist. Wenn man auch nicht viel dran machen kann, aber es ist doch ein beruhigenderes Gefühl, wenn man dabei ist.

Ich habe mal wieder meine Pfeife herausgesucht. Die Zigaretten kann man kaum noch bezahlen. Wir haben jetzt ital. Zigaretten bekommen, die 13 Pfennig das Stück kosten (20 Zigaretten also 2,60 RM) und ich „verdiene“ ja hier nur etwa 2,- RM pro Tag. Schokolade kostet das der Riegel 1,60 RM. Wie ulkig alles verteilt ist. Du hast Geld dort und keine Schokolade und ich habe Schokolade-Kaufgelegenheit aber kein Geld.

Inzwischen ist nun Sonntag-Abend geworden. Der Regen hat um die Mittagzeit nachgelassen, sodaß wir heute Nachmittag schon wieder arbeiten konnten. Die Sonne brennt auf die nasse Erde, daß es dampft. Die Luft ist richtig feucht davon, ein Gefühl, als ob man in einem Gewächshaus ist. Waren es nun nur

zwei Gewittertage, oder hat die Regenzeit schon begonnen? Das Gebirge liegt greifbar nahe durch die ausgeregnete Luft vor uns und ich denke dabei an einen Abend nach einem Regentag bei Dir. Man sieht dann im Garten das frische Grün sauber und hell leuchten und das Siebengebirge genau so nahe vor sich wie hier den die Abruzzen.

Im Augenblick sähe ich z.B. lieber das Siebengebirge vor mir als die Abruzzen. Und dabei müßte Friede sein, Friede — tiefer Friede, kein Gewehr sehen, keine Pistole und keine Uniform.

Nur so ein Sturmboot möchte ich mitbringen. Dann könnten wir mal in ¾ Stunden nach Köln fahren, oder mal die Mosel herauf bis „Cochem“. Ja, bald jährt sich der Tag von Cochem wieder zum 7. Male. Ach, war das eine Zeit. Jetzt, um diese Zeit trugen wir schon fleißig unser Heim zusammen. Kein Mensch dachte an eine künftige Trennung von Jahren. Hätte es einer einem damals gedacht [er meinte: gesagt], hätte man vielleicht gedacht, es wäre nicht möglich. Und nun sind es schon über 4 Jahre und es ist doch möglich, ist sogar durch die den Krieg in der Heimat schlimmer, als man es erwartet hätte. Und trotzdem klaubt man sich immer noch die schönsten Momente zusammen und sagt, wie war es doch im Urlaub schön, wie freut man sich über jeden Brief, jede Nachricht über Dorotheechens Wünsche, Spielen, Handlungen. So wenig diese Augenblicke, ich meine mit Urlaub, sind, sind sie doch das Mark.

Nun, liebe Elsbeth, in solchen Gedanken und schönen Erinnerungen schwelgend, küsse ich Dich ganz andächtig auf Deinen lieben Mund und innig auf Deine lieben beiden schönen Brüste.

Ich bin immer
Dein liebender Hannes.