Hannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 3. Juni 1944

3. Juni 1944

Meine liebe, liebe Elsbeth!

Entschuldige bitte, wenn ich nicht eher geschrieben habe. Aber, der Dienst ist so, daß man abends froh ist, wenn man sich ins Bett hochziehen kann. Ich habe noch nicht einmal Zeit, in Andacht an die wunderbaren Tage mit Dir zu denken. Auch jetzt ist es Samstag-Abend ½ 12 Uhr.

Ich glaube vorläufig nicht, daß etwas aus dem Offizier wird. Die erste Frage des Lehrgangsleiters war: „Wer ist schon über 30 Jahre. Es meldeten sich 4 Mann. „Ja, Euch werde ich wieder zurückschicken.“ Er will aber dieserhalb noch mit dem Regiment sprechen.

Zuerst bekamen wir alle Uniformen ohne Dienstgradabzeichen, ohne Auszeichnungen. So laufen wir nun mit etwa 70 Uffz., Feldwebeln, Ober- u. Stabsfeldwebeln herum – wie „junge“ Rekruten. Vor jedem Uffz., der als Ausbilder oder von anderen Einheiten an uns vorbeigeht, müssen wir unser Männchen bauen. Unteroffiziere u. ein Offz. „bilden uns aus.“ Heute mußten wir 78 mal „Hinlegen“, „Auf, marsch, marsch, kehrt marsch, marsch, zurückmarschmarsch, vor, marsch, marsch, machen. 78 mal „küßten wir den Boden“. Fast alles im Laufschritt mit Gewehr über. Wenn wir vom Exerzierplatz zurückkommen, sind wir vollkommen kaputt. Aber dann schnell Mittagessen, Koppelputzen, Gewehr reinigen und schon geht wieder die Trillerpfeife. Aber Nachmittags ist oft Unterricht. Da kann man sitzen.

So geht es bis 19 Uhr, dann Arbeitsstunde von 19 – 20 Uhr. In dieser Stunde sollen wir Unterrichtsthemen ausarbeiten. Aber das dauert bis 11, 12 Uhr nachts. Todmüde fallen wir ins Bett, um um 5 Uhr morgens wieder von Neuem geweckt zu werden. Nächste Woche kommen zu diesem Dienst noch Nachtübungen. Ich möchte gern den

anstrengendsten Dienst machen – Inf.- od. sonstigen Dienst – nur nicht dieses dauernde „Hinlegen“, „Auf Marsch, Marsch“.

Dies ist für uns Feldwebel etwas Kindisches und Entwürdigendes – nicht, weil wir nun den Dienstgrad haben, sondern weil wir nun 5 Jahre an der Front unsere Knochen gern für ein großes Ziel hingehalten haben, verwundet wurden usw. Einer hat z. B. anstatt Knochen Silberröhren im rechten Fuß und 34 Einschüsse im Leib. Back ist 4 mal verwundet usw. Einige, vielleicht auch ich, wollen, wenn nächste Woche keine Änderung eintritt, Schluß machen. Vor allen Dingen möchte ich – wenn ich doch wegen zu großen Greisentums zurück muß, keine Stunde länger mitmachen.

Gestern morgen hatte ich mein Bett nicht richtig gebaut. Der Spieß hat alles auseinander gerissen (natürlich nicht meines allein). Sämtliche Schemel mußten mit einer Rasierklinge in müheloser [er meint mühevoller], zweckloser Arbeit abgeschabt werden, damit sie ganz „weiß“ aussehen. Es fehlt jetzt nur noch, daß wir nach alter Rekrutenmanier die Stuben mit der Zahnbürste schrubben müssen.

Sonst die kleinen Sachen, wie Flur scheuern, Kaffeeholen, Lokusfegen, Spind säubern, sind in Ordnung. Das muß eben sein und das bricht uns ja auch nicht die Krone ab. Wenn wir

Aber nun habe ich genug von mir geschrieben. Es könnten noch Seiten werden. Und es sind jetzt 12 Uhr Mitternacht. Ich bin sehr müde. Wann ich das nächste Mal schreibe, weiß ich noch nicht. Grüße Deine Eltern, Franz, Heinz und Magda, besonders aber meinen Vater und Anna.

Und jetzt denke ich, wie schön es bei Dir war, daß ich diese schönen Tage nur dadurch hatte, daß ich hierher kam. Der Preis ist hoch, aber ich würde noch mehr bezahlen, wenn es hätte sein müssen.

Ich küsse Dich innig auf Deinen lieben Mund und bin immer
Dein Hannes.

Küßchen und Gruß für Dorothechen.

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Amsterdam über Bentheim