Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 3. Juni 1943

3. Juni 1943

Meine liebe, liebe Elsbeth!

Endlich bin ich mal körperlich und seelisch in der Lage, einen Brief zu schreiben. Die letzten Tage hatte ich schrecklich unter der ungewohnten Hitze zu leiden. Übelkeit, Durchfall usw. Brauchst aber nicht bange zu sein, es sei etwas Ernstes. Das hat jeder durchzumachen.

Erst: meine neue Anschrift nach meiner Versetzung ist:

L. 49282 L.G.Pa. München II

Seit vorgestern bin ich dabei. Gestern morgen gings sofort zu einem 3 tägigen Lehrgang über Panzervernichtung. Ich mußte als Ausbilder mit. Mit dem LKW fuhren wir etwa 1 Stunde bis hier. Heute morgen war mir’s so schlecht, daß ich mich am liebsten hingelegt hätte. Aber es geht alles. Und nun ist es mir sogar ganz wohl. Wir waren eben im Mittelmeer schwimmen. Leider mußten wir wegen des hohen Wellenganges auf Befehl eines Offiziers abbrechen. Es war aber wunderbar. Das blaue Meer. Im Hinterrund die Apenninen, schöner Strand. Die schönsten Dünenpflanzen findet man hier. 10 Minuten haben wir bis zum Strand zu gehen. 3 m hohe Sturzwellen wuchteten unaufhörlich herein. Und da, in meinem Element, wurde ich wieder frisch. Daher der Brief. Ich glaube, sonst hätte ich’s heute wieder nicht geschafft.

Ich sitze nun vor meinem Zelt auf einem Wasserkanister. Die Sonne geht unter und ein herrlicher, kühler, Wind weht vom Meer. Ich denke an das schöne Meer; die seltenen Pflanzen, Stranddisteln, Agaven, Kakteen, die unendlich vielen Eidechsen, die sich lustig im Sand tummeln, an einen herrlichen Falter, von dessen Größe ich noch nie einen sah. Mindestens 12 cm war er groß, also, ausgebreitet, etwa 25 cm. Die Farben waren ein Gedicht, die Fühler wie Farn gerippt. In diesen Dünen mit Dir und Dorotheechen zu liegen, zu spielen und zu baden. Ja, in dieses warme Wasser würdest Du Dich sogar hineinwagen.

Morgen ist der Lehrgang zu Ende. Dann beginnt direkt für mich ein neuer: Sturmbootfahren. Das wird bestimmt Spaß machen. Obwohl es am Tag so heiß ist, sind die Nächte ziemlich kühl.

Daher auch wahrscheinlich die Unpäßlichkeiten. Magenerkältung. Vorschrift ist, ab Abends wollene Leibbinde zu tragen, die wir alle empfangen haben. Tragisch ist, daß man nicht genug Geld hat. Man sieht die herrlichen Apfelsinen, saftigen Feigen, schöne Nußschokolade. Aber immer muß man bremsen. Heute und gestern habe ich mir einige kg geleistet. Die Apfelsinen sind einfach herrlich. Kaufe ich aber Apfelsinen am Tag, kann ich mir kein Glas Wein leisten. Trinke ich ein einziges Glas Wermuth (bei dem Gedanken an diesen herrlichen Wein läuft einem schon das Wasser im Mund zusammen) muß ich meine Begierde nach den saftigen Apfelsinen verkneifen.

Eine seltsame Sitte besteht hier. Redet ein Mann am hellen Tage auf der Straße ein Mädchen an, muß er sehen, daß ihm keine Antwort gegeben, sondern mit liebenswürdigem Gesicht die Zunge herausgestreckt wird. Das ist nicht etwa böse gemeint, sondern es ist eben so Sitte. Ich habe es selbst nicht ausprobiert, aber es stimmt schon. Unser Chef hatte z. B. ein Mädchen

nur nach dem Weg gefragt.

Für morgen überlege ich mir schon den Kauf eines Blocks Schreibpapier. Kostenpunkt etwas über 2,- RM. Muß dann also einen Tag auf Apfelsinen und Wein verzichten. Ich fühle mich wieder wie einst auf Fahrt, wo man auch mit dem Geld so haushalten mußte. Oder wie in der ersten Zeit unserer Ehe, wo Du „–,60 RM für Zahnpasta“ unter „besondere Ausgaben“ im Haushaltbuch eintrugst.

Wann werde ich nun die erste Post von Dir bekommen? Ich verlange so richtig nach einem Gruß aus der Heimat – von Dir.

Ich will versuchen, Dir wie üblich, jeden 2. Tag zu schreiben. Sollte es aber mal einen Tag länger werden oder auch zwei, sei bitte nicht ungehalten. Ich bin dann wirklich nicht in der Lage, zu schreiben.

Und nun nimm einen herzlichen Gruß und innigen Kuß von
Deinem Hannes.