Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 23. Juli 1940

23. Juli 1940

Liebste Elsbeth!

Wieder liegen 4 Briefe von Dir vor mir, vom 7., 8., 9. u. 17. 7. Sie sind gestern abend angekommen und ich habe sie mit Liebe und Freude an Dich gelesen. Jetzt, wo die Post langsam die alten Sachen aufholt, rechnet man jeden Tag mit Post und es kommt wieder etwas Schönes in unser Leben. Wenn man so fremd in einem fremden Land sitzt, ist der ganze Tag auf die Zeit gespitzt, wo man Nachricht von Zuhause bekommt. Auch die Filme und Zigaretten, von denen Du schreibst, habe ich erhalten.

Mit Schrecken habe ich von meinem mir selbst unbekannten „Heldenstück“ gelesen. Dem Gerücht mußt Du aber entgegentreten, denn ich will nicht als „Held“ erscheinen, wenn ich bis jetzt noch keine rechte Gelegenheit dazu gehabt habe. Ich habe aber auch keinem Menschen etwas geschrieben, das einen solchen „Verdacht“ rechtfertigen könnte. Wohl sind wir manchmal, ich glaube, ich schrieb es Dir schon, direkt hinter Panzer und Stoßtrupps, also noch vor der eigentlichen Infanterie gewesen, denn für den Weitermarsch der letzten mußten wir ja unsere Brücken bauen, aber die Franzosen liefen ja so schnell, daß wir uns nur vor den zahlreichen Minen und versprengten Trupps hüten mußten. Und bei einiger Vorsicht kann man das.

Die Franzosen haben keine Punkte oder Karten gehabt. Sie haben wohl sicher geprahlt „bei uns ist noch alles genügend“! Sie fangen aber sicher jetzt schon an, zu begreifen, daß eine gewisse Vorsorge

am Platze gewesen wäre. Ebenso mit den Lebensmitteln.

Hier in der Stadt ist ein Teil des „Hilfszuges Bayern“ und tausende Menschen stehen mittags stundenlang vorher schon, um ein warmes Mittagessen zu bekommen. Der franz. Staat sorgt nicht für die Leute und die Stadt hat kein Geld.

Anbei nochmal einige Bildchen. Sie sind nur scheußlich kopiert aber der Film ist wenigstens gut.

Mit gleicher Post schicke ich 3 Päckchen ab. Eins Zwei mit Kaffee und eins mit 1 Paar linksgewebten Strümpfen. Schreibe mir bitte, ob Du alles bekommst. Hast Du auch das Pullöverchen für Dorotheechen bekommen?

Wenn Dorotheechen sagt, Mutti guter Kerl, hat sie ja vollständig recht. Oder nicht? Aber das muß ich ja am besten wissen. Wenn ich daran denke, was Du alles mich alles an Schönem erwartet, wenn ich wieder nach Hause komme, kann ich kaum noch ruhig auf dem Stuhl sitzen. Ach, so vieles in Deinen Briefen macht mich so erwartungsvoll, daß ich mir Gewalt antun muß, ruhig zu bleiben. Ich möchte Dich jetzt so in die Arme nehmen und mit Dir lange lange mit Dir zusammenliegen und nachher selig einschlafen. Aber je länger es dauert, je schöner muß es ja nachher werden. Ich küsse Dich recht, recht innig und bin immer nur Dein

Hannes