Hannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 24. Januar 1944

24. Januar 1944

Meine liebe, liebe Elsbeth!

Vorerst wieder mal einen herzlichen Gruß.

Mir geht es etwas besser – wenigstens habe ich seit 2 Tagen nicht mehr brechen brauchen. Ich wollte jetzt nur, daß es mir wieder ganz gut würde. Es locken einen die herrlichen Berge und schöne Schitouren, aaaber. Ich liege meist, wenn die Sonne scheint, im Liegestuhl auf der Terrasse. Gehe zu den Mahlzeiten ins Hotel herunter und Nachmittags, wenn die Sonne hinter den Bergen steht, setze ich mich bis zum Abendessen in einen schweren Polstersessel, höre etwas Konzert oder lese od. schreibe. Nach dem Abendessen gehe ich dann wieder zur Pension (auch im Hotel) und setze mich wieder mal in einen Sessel und spiele Schach oder Skat oder lese. Schade, daß ich nichts trinken kann. Es gibt hier noch die feinsten Weine, Liköre und Schnäpse. Einen wunderbaren Eierlikör auch.

Heute abend gab’s zum Abendessen Suppe, dann Bratkartoffeln mit Karpfen und Nachtisch. Es hat fabelhaft geschmeckt. Morgen abend, sah ich eben auf der Speisekarte für morgen, gibt’s Suppe, K-Schinken in Madeiratunke mit Sauerkraut. Daß ich Weißbrot jetzt bekomme, schrieb ich Dir doch sicher schon.

Beiliegend einige Karten. Stell’ Dir mal vor es wäre kein Krieg und ich wäre mit Dir hier, würden uns sonnen, faulenzen, spazieren gehen. Zweimal in der Woche würden wir dem Zimmermädchen sagen: „Bitte um 6 Uhr ein Bad anrichten“. Du brauchtest kein Zimmer zu machen, könnten uns elegant das Leben für 14 Tage oder 4 Wochen gestalten. Auf jeden Fall machen wir das mal. Es braucht ja nicht gerade hier sein. Kann ja auch in Deutschland (Garmisch, Königssee oder so) sein. Das machen wir nach dem Krieg im nächsten Urlaub. – Natürlich mit Dorotheechen –.

Mitten unter all diesen eleganten Hotels ist eine Gastwirtschaft, wo die Einwohner, ein paar Handwerker und der größte Teil: Bergführer, verkehren. Sonntags abends ist dort auch Tanz. Ich habe mir gestern von Soldaten davon erzählen lassen. Es geht da noch nach alter Väter Sitte zu. An einer Seite sitzen die Vertreter der weiblichen Jugend (4 Mädchen warens am Sonntag) mit ihren Müttern und auf der andern Seite die männliche tanzlustige Jugend: ein paar Burschen aus dem Ort und etwa 40 Landser. Dazwischen ist die Tanzfläche. Beginnt nun die Musik, springen zugleich etwa 30 Mann auf, wovon dann stets 26 wieder unverrichteter Sache zurückkommen.

Ich unterhalte mich schon mal gern mit der „Pensionsmutter“, einer feinen, gebildeten Frau, die einige Sprachen, auch Deutsch spricht. Sie ist etwa 45 Jahre alt und der Typ einer weltgewandten, soliden Dame. Sie wird auch mit „gnädige Frau“ allgemein angeredet. Gestern haben wir uns über die hiesigen Bergführer unterhalten, über die um uns liegenden Berge, deren Erstbesteigungen, Unglücksfälle usw. Sie sagte, daß das Bergsteigen bei manchen eine größere Leidenschaft wie das Rauchen sei. Auf alles verzichteten sie, Vergnügen, Saufen, Mädchen – nur Steigen und Klettern. Ein alter Mann läuft hier herum von 70 Jahren. Er kommt auf der Straße langsam daher, gebeugter Rücken, den Kopf etwas vornübergefallen. Aber, wenn er in die Berge geht, klettert er die halsbrecherischsten Grate, Kamine usw. Dann straffte sich seine Gestalt, er ging fest und gerade und Fremde können ihm schwer folgen. Wenn man die Leute dann selbst sieht auf der Straße, fallen diejenigen, die Bergführer sind auch auf durch ihren Blick, ihre Haltung, ihren Gang. Es ist noch ein gut Teil der Romantik in diesen Gestalten. So, und nun küsse ich Dich ganz innig auf Deinen lieben, guten Mund und denke, ich wäre bei Dir.

So schön es hier ist, aber am Schönsten ist es doch da –, nun, wo meinst Du…?

Ich bin immer
Dein Hannes.