Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 22. Januar 1940

22. Januar 1940

Liebe Elsbeth!

Aus dem tiefverschneiten Wald, in dem man außer uns Soldaten kaum mal jemand sieht, sende ich Dir recht herzliche Grüße. Heute war ein Tag, wo etwas Fremdes durchs Lager ging.

Denk Dir mal, ein richtiges Mädchen (wenn auch nur eine Bauern-Trulla.) - Es war das Ereignis des Tages. Aber nicht daß Du denkst, für mich.

Anbei 2 kleine Bildchen. Hebe sie aber bitte gut mit den anderen Bildern auf. Das hier ist unsere Schreibstube. Das eine Bild sieht fast so aus, als ob sie auf unsere Stube noch einen Stock auf­gesetzt hätten. Aber das ist eine Täuschung. Das obere ist eine zweite Hütte, die etwas zurück höher im Berg liegt. Das eine Bildchen finde ich nett, wo ich mit Mergen im „Löhnungsschalter" liege. Am anderen Guck- oder Luftloch schaut gerade der Spieß heraus. Dann der elegante Feldpostbriefkasten an der Hütte. Sieht das ganze nicht aus, wie ein Taubenschlag?

Umgekleidet sind wir bis heute noch nicht worden. Ich bin da mal gespannt drauf.

Gestern abend mußte ich noch spät mal gerade

„irgendwohin". Ich mußte ein Stück den Berg hinauf. Der Schnee lag sehr hoch; bis an den halben Stiefelschaft reichte er mir. Im Mondschein glitzerte er in abertausend Kristallen. Es war eine rechte Freude, dieses Blinken und Funkeln anzusehen. Es leuchtete wie Diamanten. Es gibt doch noch schöne Augenblicke.

Ein angenehmer Schnitzelduft steigt mir gerade in die Nase. Das Essen scheint demnach fertig zu sein. Jetzt werde ich zuerst den Brief fertigschreiben, dann Essen, anschließend bis zum Zapfenstreich lesen. Spannendes Buch „Der grüne Stein". Abenteuerroman aus der Südsee. Gleich auf den ersten Seiten gabs schon einen Toten. Stell Dir mal vor, der arme Mister soundso wurde von Verbrecherhand ermordet.

Also, liebe Elsbeth, oder nochmal wie früher lieber Moritz, sei mir nochmals viele Male gegrüßt, laß Dich im Geiste ganz fest umarmen und Dir einen herzhaften Kuß auf Dein zartes Mündchen geben. Achtung dabei Nase rechts. Küßchen auch auf Dorotheechens Mäulchen und von ihm auf meine „Bäckchen", daß es knallt.

In alter Frische

Dein Hannes