Hannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 1. Februar 1944

1. Februar 1944

Meine liebe, liebe Elsbeth!

Gerade habe ich eine Arbeit hinter mir. In den letzten 2 Tagen ist es mir wieder etwas schlechter, weshalb ich auf meine schönen Spaziergänge verzichten muß. Ich habe aber eben Dorotheechen einen Namenstagbrief geschrieben und an das Arbeitsamt wegen einer Hilfe für Dich. Alles geht heute ab und muß mit diesem Brief in G’berg eintreffen. Solltest Du danach nichts vom Arbeitsamt hören, würdest Du wohl gut tun, einmal hinzugehen; dringend und eindringlich genug habe ichs gemacht. M. E. müßten sie da was unternehmen. Ich habe auch auf Dein Leiden u. die Ohnmachtsanfälle hingewiesen und dabei durchblicken lassen, da eine Stundenhilfe oder Pflichtjahrmädchen beantragt. Die „technische“ Angelegenheit werdet ihr ja da unten regeln.

Solltest Du einmal einen abschlägigen oder gar keinen Bescheid bekommen, schreibst Du mir das ja und ich werde dann versuchen über meine Einheit offiziell an die Behörde heranzutreten.

Gestern mittag lagen wir wie üblich in Liegestühlen auf unserer Terrasse. Neben mir lag eine von den Künstlerinnen (Marion Lindt). Sie hatte eine Tüte mit Mandeln und Nüssen und hatte keine Kraft in den Händen, sie zu knacken. Ich habe ihr dann die härtesten geknackt und bekam dafür unaufgefordert das beiliegende Bild mit „Autogramm“. Ich glaube, es ist wohl das erste „Autogramm“ in unserer „Familie“.

Heute ist die gesamte Künstlerschar abgereist. Gestern war Kino: „Kollege kommt gleich“, mit Carola Höhn und Albert Matterstock. Es ist immer eine willkommene Abwechslung. Die Sonne ist mittags schon so stark, daß man sich mit entblößtem Oberkörper in den Liege-

stuhl legen kann.

Heute sollten meine Pillen kommen. Aber nun sind sie wieder nicht gekommen. „Morgen“ soll ich wieder nachfragen. Ich wollte nun doch, sie kämen, denn diese Nacht war es wieder ziemlich stark. Jetzt im Augenblick geht es aber wieder. Ich könnte die ganze Magengeschichte auf den Blocksberg wünschen, denn sie hat in mir eine Stimmung ausgelöst, die unter keinen Umständen einreißen darf. Ich bin etwas kriegsmüde geworden und denke dauernd an später … wenn Friede ist … an unsere Wohnung … vor allen Dingen an uns Drei … usw. An alle diese Dinge habe ich natürlich auch, und nicht minder herzlich, früher gedacht, aber anders. Jetzt komme ich mir manchmal so alt dabei vor und das darf nicht sein. Ich stelle mir mit Schrecken vor, wenn ich mit dieser Stimmung wieder bei meiner Einheit lande.

Aber ich glaube und will, daß, wenn es mit meiner Magengeschichte wieder soweit ist, ich wieder der alte, frische, junge Soldat wie früher bin. Ich habe mir niemals so eingehend das Kriegsende ausgemalt wie gerade jetzt. Mag aber auch das Faulenzerleben hier mit Schuld daran sein.

Die Weihnachtssachen, die ich diesen Weihnachten ja wieder, Gottseidank, nicht brauchte, schicke ich anliegend zurück. Für das Krippchen muß ich mir erst einen größeren Umschlag besorgen.

Ich halte Dich ganz fest und innig lieb und drücke dich fest an mich. Ich küsse Dich auf Deinen lieben, lieben, guten und süßen Mund und bin immer
Dein Hannes.