Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 1. Mai 1940

1. Mai 1940

Liebstes Frauchen!

Zum Anfang gebe ich Dir einen ganz festen Kuß.

Dies ist der letzte Brief, den Du vor meinem Urlaub bekommst.

Heute ist nun der erste Mai. Weißt Du, was wir da eigentlich hätten tun müssen?

Ein Hümpchen auf der Godesburg mit Maikräutern trinken. Das geht doch so schön in den Kopf und beschwingt zu fröhlichem Sinn. Aber den haben wir ja auch so.

Ich freue mich auch so auf Dorotheechen. Ich muß ihr doch schnell mal ein paar Zeilen schreiben. Ob sie das dann schon begreift?

Liebes Dorotheechen!

Die liebe Mutti hat Dir doch sicher schon erzählt, daß Vati kommt. Da mußt Du Dich schön fein machen. Und dann geht Mutti und Vati mit dem kleinen Dorotheechen spazieren. Wo wollen wir dann hingehen? in den Park zum Rehlein und Hirschlein? Und zu den kleinen Vöglein?

Das soll aber eine rechte Freude werden, wenn Vati das erste Küßchen wieder bekommt.

 

Du mußt dann aber auch schön brav sein und Mutti und Vati viel Freude machen, dann hat Dich der Vati immer gern. So, nun

gebe ich Dir im voraus schon ein Küßchen mitten aufs Mündchen und bin immer Dein lieber Vati.

Ob Dorotheechen schon begreift, daß ich in Urlaub komme? Eigentlich müßte sie das doch schon bald.

Nun, liebe Elsbeth will ich Dir auch auf Wiedersehen sagen. Wenn Du diesen Brief bekommst, dauert es ja vielleicht nur noch Stunden und wir haben uns ganz. Und das in der schönsten Jahreszeit, wo alles grünt, die Blumen blühen und alles neu sprießt.

Ich bin immer Dein zufriedener und glücklicher, lieber

Hannes