Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 26. Mai 1940

26. Mai 1940

Liebste Elsbeth!

War das eben schön, als ich Deine Stimme nochmal hörte und auch Dorotheechens Stimmchen. Ich konnte sogar z.T. verstehen, was sie sagte. Ich konnte mir ganz gut vorstellen, wie Ihr Beide da im Flürchen standet. Es war einfach bald wie ein kleiner Urlaub.

Wie ich Dir schon sagte, schicke ich heute 3 Päckchen mit Büchern ab. 3 neue sind dabei. Damit bei einem evtl. Transport unsere Kompaniebücherei nicht zuviel Platz wegnimmt, sind die Bücher einfach verteilt worden und da hatte ich ja freie Auswahl, da wir zuerst durch­sehen konnten. Gelesen habe ich die 3 Bücher noch nicht. Es sind: 1.) König Geiserich (das ist der König der Vandalen. Ich nehme an, daß es so etwas ähnliches ist, wie der Berg des Königs) 2.) Walter von Plettenberg (ein Kreuzritterroman) und 3.) Das Domgesicht (wahrscheinlich die Elsässische Geschichte mit dem Straßburger Münster). So ist denn unsere Bibliothek wieder auf billige Art um 3 Bücher reicher geworden.

Ich bin froh, daß ich meinen Apparat hier habe. Bietet sich einem doch Gelegenheit, Momente festzuhalten, die einem selbst zusagen und man ist nicht immer auf andere angewiesen. Leider ist ja dadurch mein „Portemonaie" wieder etwas mehr angespannt, aber ich versuche, das durch einen Druck auf den Zigarettenetat wettzumachen.

Heute war es sehr schwül. Es hat auch vorübergehend etwas gewittert. Ich bin am ganzen Körper geschwitzt. Mattes ist herausgegangen. Er hat hier ein „Mädchen kennengelernt" und geht etwas mit ihm spazieren. Er hat dem Mädchen allerdings gesagt, daß er verheiratet sei und geht auch tatsächlich nur mit ihm heraus, um etwas frohe Gesellschaft zu haben; aber es mutet einen doch etwas komisch an. Mit dem Spazierengehen allein mit weiblicher Begleitung will ich lieber warten, bis ich das mit meinem Frauchen machen kann. Dann geht höchstens noch Dorotheechen mit. Wir wollen immer mit Freude und unbeschwerten und frohen Herzen aneinander denken, nicht wahr, Elsbeth?

Ich bin momentan mit Richard allein hier. Richard ist „meine" neue Schreibhilfe. (Richard Roos aus Köln) Ich glaube, ich habe schon mal mit Dir von ihm gesprochen. Er ist Vegetarier und sehr belesen. Man kann mit ihm gut über Bücher, Geschichte, Künstler usw. sprechen.

So, lieber Moritz, jetzt will ich Dir auf Wiedersehen sagen und Dich überall hin küssen und Dich herzen und liebhalten. Ich habe noch immer das Gefühl des neuvermählten Ehemannes und, als ob ich überhaupt bezüglich Liebe nicht älter werde. Ja, es ist, als ob man darin mit jedem Tag jünger würde. Und Dir geht es doch auch so. Wie gut wir es doch in dieser Beziehung haben. Wir sind ja rein mit Glück gesegnet. Und Deine Krankheit soll sicher nur der Ausgleich sein, damit wir nicht so übermütig werden. Wäre es Dir herumgedreht lieber? Jetzt will ich warten, was Du darauf antwortest.

Ich bin immer Dein für Dich sorgendes und Dich liebendes

Mannchen