Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 17. Juni 1940

17. Juni 1940

Liebste Elsbeth!

Gestern Abend habe ich Dir noch einen Brief geschrieben, aber heute morgen ist mein Verlan­gen, mich mit Dir zu unterhalten, wieder so groß, daß ich mich wieder zum Schreiben hinsetze. Es wird Dir ja wohl nicht zuviel??? Dumme Frage, was!

Gestern habe ich Deine restlichen Briefe (8 Stück) bis einschl. 12. 6. bekommen. Mit vorgestern zusammen waren es im ganzen 17 Stück. Es ist fast ein Buch. Und meine Freude kannst Du Dir denken. Nun weiß ich auch, daß der Speck angekommen ist und warte mit Sehnsucht auf die versprochene Belohnung. Du könntest ja mal runterkommen. Aber, so schnell, wie wir fahren, immer weiter, kannst Du ja doch nicht folgen.

Das Bild hier ist immer dasselbe. Ich will es nicht immer wieder zeigen. Seid nur alle froh, daß der Krieg nicht in unserem schönen Rheinland sich abgespielt hat. So kann ich später in ein schönes Land, in eine schöne Wohnung kommen, wo das schönste Frauchen den „heimkehren­den Soldaten" in ihre Arme nimmt und ihn drückt und sich von ihm drücken läßt und beide sich liebhalten und küssen und sich alles Mögliche Gute antun vor lauter Glück und Freude.

Und einen Abend gehen wir dann mal so richtig heraus und, ich glaube, dann ist mir alles egal; dann trinken wir Hümpchen und Sekt und probieren Rotwein, ob er auch so schmeckt, wie hier unser täglicher Haustrunk. Und dann machen wir eine kleine Reise, die Du Dir inzwischen ausdenken kannst. Und unser Dorotheechen bekommt dann auch was Schönes gekauft. Bis dahin ist mein Frauchen auch sicher wieder etwas besser, wenn sie den Kopf, wie es sich für ein deutsches Soldatenfrauchen gehört, hochhält.

Du hättest mich mal vorgestern auf dem Marsch (d. h. Fahrt) sehen sollen. Auf einem schweren Motorrad mit Stahlhelm, quer überm Rücken den Karabiner. Nach Führerschein fragt ja hier kein Deubel was. Und ich war froh, daß ich nicht wie ein Hering zusammengepreßt auf dem Lastwagen saß und nochmal ein Motorrad, daß wir übrigens requiriert haben, unterm Hintern hatte.

Gerade kommt der Lt. von der 2. Komp. mit einem gefangenen Neger [Schwarze wurden in dieser Zeit so genannt] an. Es sind immer noch welche, die sich wahrscheinlich im Urwaldinstinkt in den Wäldern verkriechen. Er ist so schwarz wie die Nacht und hat ein intelligentes Gesicht. Besonders Stirn und Augen und die Gesichtsform sind schön. Nur der Mund ist etwas wulstig. Er ist zudem durch einen Armschuß verwundet (durch seine eigenen Kameraden).

Er macht den Eindruck der Verängstigung und ist doch anscheinend froh, daß man ihn nicht bei seiner Gefangennahme einfach erschossen hat. Denn viele von diesen Leuten sind gefähr­lich. Aber er hat, ich möchte sagen, ein wohl starkes aber dabei liebes Gesicht, das einen an einen starken, frischen Jungen erinnert.

So, nun will ich Dich nochmal in meine Arme nehmen und Dich fest und herzlich drücken und küssen. Bleibe immer mein starkes, liebes und gutes Frauchen. Ich bin immer Dein

getreuer Hannes

Frau Keller hat mir übrigens ein paar Zigaretten geschickt und eine nette Briefkarte dazu ge­schrieben. Ich war ganz überrascht und habe mich sehr gefreut.