Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 3. Dezember 1939
3. Dezember 1939
Liebe Elsbeth!
Zum erstenmal mußte ich einen Tag überschlagen. Wir hatten gestern einen ganz tollen Betrieb hier. Vorgestern war nämlich Soldzahlung. Das Geld kam aber zu spät. Deshalb wurde gestern ausgezahlt. Der Komp.-Führer ordnete an, daß nun gestern mittag gelöhnt werden solle, es wurde aber abend drüber. Dafür habe ich natürlich eine saftige Zigarre einstecken müssen, obwohl ich nicht recht dafür konnte. Nächstens wolle er seine „Befehle pünktlich ausgeführt wissen“ sagte er mit gerunzelter Stirne. Der Spieß und ich haben uns mal verständnisinnig angegrinst. Vorgestern abend hättest Du mal hier etwas erleben können. Der Alte war scheints nicht gut gelaunt. Ich habe noch nie, das kann ich wohl mit nicht viel Übertreibung sagen, einen Menschen wegen Kleinigkeiten so herumbrüllen hören. Wie ein Berserker hat er herumgetobt. Dem Spieß hat er sogar gesagt: „Man soll Sie um die Ohren hauen“. Das Schönste war dabei, daß dieser ganz unschuldig war. Wir haben hier auf der Schreibstube den längsten Dienst und bekommen immer die dicksten Zigarren verpaßt. Aber „uns kann nichts mehr erschüttern“.
Liebe Elsbeth! Ich bitte Dich noch einmal recht herzlich, geh doch einmal zum Arzt! Tu mir doch bitte diesen Gefallen einmal. Kannst Du es eigentlich über Dich bringen, so gar nicht auf meine Bitten, die ich doch in jedem Brief ausspreche, zu reagieren. Ich bin doch bis jetzt und werde es auch weiter tun, Dir nicht böse drum, wenn Du es nicht tust, aber versetze Dich nur mal in meine Lage!!!
Lieber Moritz! Schon wieder ist ein Päckchen angekommen. Ich habe mich darüber und über Deine letzten Briefe wieder richtig gefreut. Vor allen Dingen freut mich Dorotheechen sehr, daß es so lieb und nett und anstellig wird. Aber bei „solchen Eltern“!
Kugelmeier hat mir geschrieben, von der Firma habe ich Zigaretten bekommen, von Herrn Kallmeyer einen Brief, daß er Dir wahrscheinlich 10,- Mk. monatlich beisteuern will. Außerdem hat Hubert geschrieben. Also eine kolossal postreiche Woche. Aber am liebsten sind mir immer die bekannten blauen Briefe, die eine „junge Frau“ abends liegenderweise auf der Couch auf den Knien schreibt. Im Moment, wo ich an Knie denke, kommt es wieder so komisch sehnsüchtig und verlangend über mich und ich muß schon wieder an Urlaub denken. Aber nichts für ungut, liebes Frauchen. Ich werde immer so nett wie bisher zu Dir sein.
Allerherzliche Grüße und viele, viele Küsse
Dein Hannes