Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 1. Januar 1940

1. Januar 1940

Liebstes Frauchen!

Im neuen Jahr der erste Brief. Damit wünsche ich Dir nochmals alles Gute und viel Freude für Dich und Dorotheechen. Wie hast Du denn das neue Jahr angefangen? Hier war eine allgemeine Besäufnis. Als ich nachts um 12 Uhr wach wurde, war hier eine Schießerei im Gange, wie bei einem Gefecht. Knalle von kleinen Pistolen, von großen Pistolen, Karabiner alles durcheinander. Dazu ein Rufen und Singen, Musik aus Mundharmonikas und selbstgefertigten Instrumenten, es war einfach alles dran.

Aber das wirklich Schönste habe ich heute morgen erlebt. Ich habe mit dem Spieß eine kleine Morgenfahrt gemacht. Etwas Schöneres kannst Du Dir wohl kaum vorstellen, ich meine natür­lich das, was die Landschaft anbetrifft. Dicht verschneite Wege, umstanden mit hohen Tannen­wäldern, die Zweige wieder schwer mit Schnee beladen. Der Weg führte weiter durch Laubwald. Die weiß beschneiten Zweige stachen wie feine Filigran-Arbeit gegen den Himmel ab. Dann kamen Lichtungen mit einzelnen Wildfährten. Dazu eine wunderbare Stille. Wie gern wäre ich mit Dir durch diese ganze wirklich märchenhafte Schönheit gezogen.

Das Weiße, worauf manchmal noch die Sonne schien, verbunden mit der Stille, war so schön, daß es beinahe unwirklich war. Es war, abgesehen vom Urlaub, ein Lichtblick in meinem Soldatenleben.

Es ist schade darum, daß Du es nicht miterlebt hast.

Es ist nun Mittagszeit. Ich sitze in der neuen Schreibstube. Das erste, was ich hier getan habe, als ich meine Arbeit aufnahm, war, Dein Bild, Du weißt das schöne, auf meinen „Schreibtisch" vor mich zu stellen. Da steht es nun immer bei der Arbeit vor mir und so sind wir „Drei" immer beisammen. Immer schaut Ihr mir zu, was ich tue, wie ich arbeite und auch jetzt lachst Du mich an, wo ich diesen Brief schreibe. Dorotheechen drückt sich fest an Dich, und Du machst Aaach und lachst mich an.

Da siehst Du auch, daß wir ganz, wie es eben möglich ist, verbunden sind. Und dann denke ich immer an Euch. Ich bin ja so glücklich, daß ich Euch habe. Hoffentlich wirst Du nun in diesem Jahr wieder ganz gesund und dann wollen wir zu Dritt wieder anfangen, kleine Wanderungen zu machen, weißt Du, wie wir uns das früher so schön vorgestellt haben. Ich möchte jetzt mit Dir Hand in Hand losgehen, ein schönes Lied singen, laut juchhe schreien und Dir einen festen Kuß mitten auf den Mund geben. Und in dieser Stimmung will ich schließen, denn wenn es am schönsten ist, soll man Schluß machen. So sei denn weiter immer mein geliebtes Frauchen und laß Dich herzen und küssen von

Deinem Hannes