Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 28. Mai 1940

28. Mai 1940

Liebe Elsbeth!

Es geht stark auf die Mitternachtsstunde an. Ich habe mir nämlich heute abend 3 lange Briefe und 2 Karten vom Halse gearbeitet und bin nun frei für Dich.

Anbei findest Du das versprochene Bildchen. Den Film schicke ich Dir nach und Du kannst dann vielleicht für meine Eltern auch eins machen lassen. Gefällt es Dir? Es sieht ja ganz „mörderisch“ aus, nicht wahr. Aber keine Angst, ich schieße nicht.

Dann noch eine kleine nahrhafte Anlage. Ich hoffe, daß Du dafür „Verwendung“ hast. Wenn nicht, schreibe es, dann kann ich Dir 1000 andere Abnehmer angeben. Aber eine Bitte ist damit verbunden. Ich habe mir das Geld dafür pumpen müssen. Es waren 6.00 RM. Ist es Dir aber zuviel, will ich mich so durchleppern.

So, nach dieser Einführung erst mal einen ganz, ganz festen Kuß von Deinem geliebten Mannchen. Ich habe mich über Deine Briefe ja wieder so sehr gefreut. Ja, daß ich auf der Bank eingeschlafen bin, hat mir manche Flaumerei eingebracht und die tollsten Vermutungen wurden (natürlich scherzhaft) auf der Schreibstube laut. - Nettes Mädchen usw. - Aber ich sage mir: entweder schlafe ich allein oder bei Frauchen. Alles was dazwischen wäre, macht keinen Eindruck auf mich.

Nun lese ich, daß ich Dir durch meinen Anruf am Sonntag

einen Strich durch den Nachmittag mit Liesel und Hein [Freunde] gemacht habe. Bist Du „böse“ drum? Vielleicht kannst Du den Nachmittag noch nachholen.

Dorotheechen muß doch im neuen Mäntelchen mit dem wippenden Täschchen allerliebst aussehen. Hoffentlich vergißt sie darüber nicht den Vati. Aber wenn sie nach mir noch fragt, ist es ja gut. Ich möchte schon wieder so in Urlaub kommen.

Nun liegen wir seit 3 Tagen in Alarmbereitschaft und warten stündlich darauf, daß wir ab­rücken. Ich vermute d. h. ich weiß, daß es nach dem Land geht, das heute kapituliert hat. Demnach brauchen wir also immer noch nicht als „Krieger“ aufzutreten. Bist Du „böse“ drum? Auf jeden Fall ist es denn doch so ziemlich gewiß, daß ich mein liebes Frauchen wieder frisch, heil und gesund in die Arme schließen kann, wenn ich das nächste mal komme — hoffentlich für immer. Es ist ja wieder eine gewaltige Leistung, daß Belgien aufgegeben hat. Erst Polen, dann Norwegen, Dänemark, Holland, Belgien und schon die stärksten Befestigungen in Frank­reich. Es ist ja einfach genial und fast unbegreiflich.

Nun liebstes Frauchen, schließe ich Dich in meine Arme und küsse Dich da und da und dahin und zum Schluß ganz fein noch zweimal . . . . !

Ich bin immer Dein treuer, Dich verehrender

Hannes