Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 14. Juni 1940
14. Juni 1940
Liebste Elsbeth!
Freude habe ich, denn Dein erster Brief hat mich endlich erreicht. Aber es ist der vom 9. Juni und nun warte ich noch auf Deine Briefe vom 28. Mai bis 8. Juni. Mit Erstaunen vernahm ich, daß Anna nun doch verheiratet ist.
Für uns ist wieder vielerlei Abwechslung gewesen. Gestern war ich mit den Rechnungsführern der andern Kompanien und unserem Oberzahlmeister in einer Stadt zum Einkauf von Rauchwaren. Das Städtchen liegt 3 Stunden Fahrzeit von uns entfernt und die Bevölkerung ist wieder zurück. Es war eine schöne Fahrt immer der Maas entlang bis nach Belgien. Die Belgier waren sehr deutschfreundlich, beschenkten uns „Kämpfer" sogar mit Zigaretten usw. Aber am schönsten war die Verständigung in den Geschäften. Ich rein und: „Mademoiselle, Cigarets su'ne Hoof" und dabei zeigte ich dann immer einen mächtigen Berg mit den Händen an. Aber mein „Französisch" wurde verstanden. Ja, es ist was wert, wenn man so wie ich, perfekt Französisch spricht. Nur leid hat es mir für die Bevölkerung getan, daß sie wegen der Franzosen und Engländer festen Zunder bekommen haben. Interessant ist, daß sich das Leben vielfach auf der Straße abspielt. Frauen, Männer und Kinder sitzen vor der Türe oder auf dem Bordstein und unterhalten sich, oder flicken Strümpfe usw. Sogar standen 2 Frauen auf der Straße und wuschen Wäsche. Als wir abends nach „Hause" kamen, hieß es morgen früh weiterrücken. Und so sitzen wir jetzt in einem kleinen Nest, wo am 9 Juni einer der härtesten Widerstände geleistet wurde. Aber die Deutschen sind trotzdem vorgedrungen. Uns bleibt nun noch übrig, einzelne Tote, die noch nicht in den Massengräbern liegen zu beerdigen und beim Bau der Notbrücken
die Zufahrtsstraßen zu bauen. Aber ganz schlimm hats hier gewütet. Besonders in der Schule hatte sich anscheinend der Franzose bis zuletzt festgesetzt; denn diese ist eine Ruine von Steinen, Balken, Betten, Schränken, Wäsche usw., rund herum Granat- und Bombentrichter, die die Erde aufgewühlt haben und dem Bild etwas Grausiges geben. Aber um mich darfst Du keine Angst haben. Der Deutsche steht heute ja schon in Reims und Paris. Es hat fast den Eindruck, als ob wir kaum so schnell folgen können, wie die Deutschen kämpfend vorgehen. Unserer aller Achtung vor der deutschen Armee wächst von Tag zu Tag, wo wir sehen, wie die Soldaten alles einsetzen, um den Feind zu überrennen.
Hubert schrieb mir gestern auch wieder. Er liegt am selben Flüßchen nur mehr westwärts.
Und nun, liebe Elsbeth, hoffe ich, recht, recht bald alle die lieben Briefe zu bekommen, die von Dir noch unterwegs sind. Und vielleicht finde ich da auch wieder viel liebes Erzählen von Dorotheechen.
Ich küsse Dich ganz fest und halte Dich lieb. Ich bin immer
Dein getreues Mannchen.
Unsere Schreibstube haben wir in der verlassenen Wohnung des Pfarrers aufgeschlagen. Keine Fensterscheibe ist mehr ganz und im Raum sind überall Geschoßeinschläge zu sehen. Unser Leben ist jetzt interessanter geworden, wenn auch das Interesse nur von der Öde und Verlassenheit und den Grauen diktiert sind. Aber immer denke ich an Dich und jetzt immer mehr als je. Wenn Aber der Krieg wird ja nicht mehr lange dauern können; denn unsere Feinde, oder vielmehr die feindlichen Parlamentarier müssen doch langsam Einsicht bekommen.