Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 12. Juli 1940
12.7.40
Liebe Elsbeth!
Recht herzlichen Dank für Deine 3 Briefe vom 22., 23. und 24. Juni und die Zigaretten.
Endlich hatte ich also nochmal Post. Und wie ich mich darüber gefreut habe, kannst Du Dir denken. Ich habe es aber auch genießerisch angefangen. Erst schnell meine Arbeit fertig gemacht und etwas gegessen. Dann gewaschen und etwas frisch gemacht. Und dabei hatte ich die Briefe in der Tasche. Kannst Du Dir das denken. Aber ich wollte das Übliche vermeiden, daß man während des Lesens dauernd abgerufen wird, Ließem hier und Uffz. Ließem da. Ich habe schon früher eine Stunde lang über einem einzigen Brief gelesen. Man wird dann nachher regelrecht wütend. - Also, als ich dann die Vorbereitungen gestern abend getroffen hatte, zog ich mich in meine Kemenate (das Privatzimmer eines Arztes) zurück, setzte mich in den Sessel vor einen fabelhaften Nußbaumschreibtisch, steckte mir eine Zigarette an und dann …. Ich war richtig bei Dir und sah, wie Du den Brief schriebst und mit ganzem Herzen bei mir warst, wie ich bei Dir.
Mit der Nummerierung habe ich hiermit begonnen. Hoffentlich erhälst Du meine Briefe jetzt besser, denn die Poststation von uns ist nun Lille. Und von dort fahren schon wieder Züge in die Heimat. Auch wollen wir morgen mal sehen, ob wir die Briefpost wenigstens einem Flugzeug mitgeben können, dann wäre sie schon in einer starken Stunde in Köln oder Hangelar. Es ist eigentlich schade, daß ich nicht bei den Fliegern bin, dann könnte ich schon mal ganz gut „Sonntags mal eben zum Kaffee“ kommen.
Es mutet einen etwas komisch an, wenn man Briefe bekommt, die heute genau vor drei Wochen geschrieben sind, besonders wenn man dann liest, hoffentlich klappt das mit dem Waffenstillstand mit Frankreich. Dabei lebt
man schon lange im sogenannten „tiefsten Frieden“ und denkt nur noch als an etwas Vergangenes daran. Allerdings sind die Spuren ja wohl in der ersten Zeit nicht so schnell zu verwischen.
Wegen Mutter freue ich mich, daß sie endlich mal zur Grete [Kusine von Hannes' Mutter] geht. Was Du dazu tun willst, ob ganz oder einen Teil, überlasse ich Dir. Ich bin im voraus mit allem einverstanden. Bei uns heißt es doch: „Was Du tust, will auch ich tun“! Das klingt nach Bibel, nicht wahr?
Heute habe ich mal roh überschlagen, wieviel Kilometer ich seit Detmold schon zurückgelegt habe. Es sind bis heute rd. 3.000 km. Unsere Leute arbeiten von morgens 6.00 Uhr bis abends 10.00 Uhr mit 2 Stunden Pause auf dem Flugplatz. Ein hartes Tagewerk. Morgens um 4,30 Uhr gehts schon raus.
Eben sind drei weitere Briefe und Zigaretten von Dir angelangt. Das heißt, durch die dauernden Störungen ist es mittlerweile Abend geworden und unendliche Male habe ich den Brief wieder in die Rocktasche gesteckt, damit er während meiner Abwesenheit nicht herumliegen soll.
Daß Dorotheechen so lieb ist und immer an mich denkt und mich so gern hat, ist für mich ein so innig-schönes Gefühl, das ich gar nicht ausdrücken kann. Du kannst ihr aber sagen, daß ich sie auch so recht von Herzen gern habe und viel in Gedanken mit ihr spiele und an ihr Freude habe. Ob sie das versteht? Du fragst, ob meine Schreibstubentätigkeit noch immer dieselbe ist. Also, da ist nun eine Änderung eingetreten. Dadurch, daß der Spieß kaum noch bei der Kompanie ist, bearbeite ich die ganzen Kompaniegeschäfte selbständig. Meine Briefe diktiere ich Mergen oder Roos und im übrigen bin ich viel mit dem Auto unterwegs - Quartiersachen regeln usw. Der Spieß hat, seit er bei uns ist, noch nicht mehr in der Schreibstube getan, als ab und zu seinen Namen als Zeuge bei einer Auszahlung geschrieben. Das ist aber nicht übertrieben. Er ist ein guter Außendienstler und läßt mich schalten und walten.
Also, Brücken bauen, brauche ich nicht! Nun ruft schon wieder der Leutnant.
Die ganze Nacht haben wir nur „getrunken“, dann habe ich eine Stunde geschlafen und mit einem niederträchtigen Gefühl im Magen um 4 1/2 Uhr meinen Dienst begonnen. Und was für einen Dienst. Hören und Sehen ist mir beinahe vergangen.
Es ist schon mittlerweile wieder Abend geworden und ich habe kaum Zeit zum Essen gehabt. Jetzt herze und küsse ich Dich viele hundert Mal und drücke Dich ganz fest an mich.
Ich bin immer Dein lieber treuer
Hannes