Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 24. August 1940
24. August
Meine lliebe Elsbeth!
Herzlichen Dank für Deine beiden Briefe. Immer ist es einem ein Stück von der Heimat und man vergißt überm Lesen einen Augenblick den ganzen Krieg, allen Ärger und Unannehmlichkeiten und da ist mit den Gedanken ganz bei Frauchen. So küsse ich Dich denn zum Anfang auf Deinen lieben Mund und sage Dir noch schnell, daß ich Dich ganz ganz lieb habe. An den Zaunpfahl will ich denken.
Ich komme eben von einer Frontfahrt zurück, die sehr interessant war. Wir sahen die historischen Stätten des Weltkrieges in Flandern. (Die Leute sprechen hier nicht französisch sondern flämisch.) Wir fuhren über Douai, sahen die aus dem Weltkrieg bekannten Höhen Vinnyhöhe und Lorettohöhe. Auf der Lorettohöhe ist ein wunderbarer Heldenfriedhof.
36000 Deutsche liegen hier begraben. Es ist wie in einem schönen Park. Von hier ging es über Cassel nach Dünkirchen. Das dritte Mal stand ich nun in meinem Leben am Meer. Aber wie verschieden waren diese Besuche Erlebnisse. Zuerst allein in Scheveningen als Junggeselle. Dann im vorigen Jahr mit meinem lieben Frauchen an der Ostsee. (Und das war das Schönste.) Und nun ... aber ich erzähle. Hinter Bergues fing es an. Auto an Auto lag im Straßengraben. Dazwischen auch Tanks und Pferdewagen. Es war die Straße des „geordneten Rückmarsches“ der Engländer. Da So ging es Kilometer
um Kilometer bis nach Dünkirchen. Hier sieht es auch recht trübe aus. Den Leuten hat kein Luftschutzkeller geholfen. Eine Stukabombe kommt so auch bis in den Keller. Und dann kam der Augenblick, wo wir am Meer standen. Das Gefühl kennst Du ja selbst. Nun mußt Du Dir den Strand aber anders als in Schönberg vorstellen. Es war gerade Ebbe. Der Strand ist dann ca. 200-300 m breit. Aber Sand und keine Steine. Reiner weißer Sand.
Und so weit das Auge reichte, lag der Strand voller englischer u. französischer Autos, Motorräder, Waffen, Mäntel, Röcke usw. Außerdem liegen einige kaputte Schiffe da. Besonders interessant war ein kleiner Kreuzer (so ein „kleiner“ Kreuzer ist allerdings noch immer ein großes Ding).
Der hatte einen Treffer bekommen, daß das Schiff buchstäblich in zwei Teile gespalten war.
Von Dünkirchen fuhren wir nach Nieuweport, Ostende, von hier quer durch Flandern - Langemark, Ypern, Kemmel. Überall große Heldenfriedhöfe aus dem Weltkrieg. Ab und zu sieht man auch noch einen alten Bunker. Die Dörfer bestehen fast restlos aus neuen Häusern, denn 1918 stand hier kein Haus, kein Baum und nichts mehr. Vom Kemmel gings wieder runter nach Frankreich über Armentines, La Basse, Arras, Demain.
Und nun bin ich rechtschaffen müde, habe inzwischen auch etwas über den Durst trinken müssen. Ich sage Dir daher gute Nacht und gebe Dir noch einen festen Kuß.
Ich bin immer Dein getreuer
Hannes