Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 4. Oktober 1940
4. Oktober 1940
Liebe Elsbeth!
An dem kühnen Schwung des L bei „Liebe Elsbeth“ siehst Du doch sicher die immer noch nachhaltende glücklichselige Stimmung, in der ich mich seit unserem Wiedersehen befinde. Ich meine, oder bilde ich mir das vielleicht ein, es wäre bis jetzt das schönste und harmonischste Wiedersehen gewesen der letzten 13 Monate. Oder ist es deshalb, weil es das noch so frisch in Erinnerung ist? Wie geht es Dir denn damit? Ich bin aber auch so restlos glücklich über das schöne Familienleben, daß das uns alle drei verbindet, daß ich gar nicht weiß, wie ich meiner Freude Ausdruck geben soll. Ich fühle mich auch von hier aus der Ferne so innig verbunden mit Euch beiden, daß es mir im Augenblick garnicht so recht wie Trennung vorkommt.
Nun ist Mergen auch auf „Dienstreise“. Auch er war glücklich, als er abfuhr. Ob es bei ihm auch so schön ist wie bei uns?
Morgen bringen wir unseren Selbstmörder in die Erde. Still und ruhig wird er auf dem Soldatenfriedhof beigesetzt. Eben haben wir noch die Kugel gefunden. Er war ein lebensfroher und humorvoller Mensch und allen ist seine Tat ein Rätsel. Aber das kommt „von die Frauen“! Seine Braut hatte sich von ihm losgesagt. Mußte er sich aber deshalb erschießen. Er hätte sich dann doch ein so nettes und gutes Frauchen suchen sollen, wie meins eins ist. Aaaber –
das gibts eben nur einmal. Denn wo sollte das denn hinführen, wenn noch mehrere solcher Frauchen existierten; dann hätte ich ja nicht, wie ich mir einbilde, das große Los gezogen.
Dein Bildchen steht jetzt in meinem Zimmer mitten auf dem „Kamin aus weißem Marmor“.
Jetzt ist der ganze Brief wieder in einem Stil geschrieben, der vielleicht einem 18-jährigen, verliebten Jüngling mit beginnendem Bart Ehre gemacht hätte. Aber sei es wie es sei, ich kann mich im Augenblick auch nicht mehr auf die Reife meiner 31 Jahre besinnen und etwas Neues anfangen. Vielleicht beim nächsten Mal, aber laß mich jetzt wenigstens mal „jugendlich beschwingt“ die Feder geführt haben, Du teures, Du gutes und liebes, schönes, herrliches, frohes und vital Freude gebendes, kluges und überragendes, mütterliches, liebendes, verehrungswürdiges, brav und ehrliches und von mir über alles geliebtes und verehrtes, auf Händen getragenes treues Frauchen.
Ich küsse Dich ganz fest und innig auf Deinen schönen Mund und zart auf die schönen Augen und Stirn, auf die herrlichen Knöspchen auf den so liebenswerten Hügelchen, die nur für mich ganz allein sind. Und ich mache dann einmal mit Dir „Kuscheln“. Und dann schlafen wir selig zusammen ein.
Grüße diesmal keinen Einzigen von mir, denn dieser Brief soll nur ganz allein für Dich bestimmt sein.
Ich bin immer Dein ganz für Dich lebendes liebes
Mannchen.