Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 7./8. Oktober 1940
7./8. Oktober 1940
Meine liebe Elsbeth!
Gestern abend bin ich nicht zum Schreiben gekommen, da so allerhand wieder los war. Damit aber keine Unterbrechung in der Brieffolge eintritt, will ich wenigstens heute morgen, ehe die Post abgeht noch wenigstens einige Zeilen für mein liebes Frauchen schreiben. Es fällt mir ja schwer, denn ich habe eiskalte Finger. (Wie sagt man? Kalte Hände, warme Liebe.) Außerdem ist es mir aber auch so nicht ganz gut. Ich war ziemlich stark erkältet und habe einen schrecklichen Durchfall. Aber das wird schon wieder weggehen. Heute morgen ist der Komp.-Führer in Urlaub gefahren. Das heißt, nur für einige Tage, da seine Mutter am sterben ist. Ein solcher Urlaubsgrund ist ja wohl nicht schön. Dann Gestern habe ich 2 riesige Fensterleder gekauft. Für dich eins und meine Mutter eins. Ich muß sehen, daß ich es heute wegbekomme. Außerdem kann ich wieder Persil haben. Auch davon schicke ich Dir was. Für die Fensterleder habe ich pro Stück 4,- RM gezahlt. Wegen Schuhen für Vater bin ich noch nicht nach Belgien gekommen.
Schreibe mir doch nun bald genau was und wieviel Du an Stoff benötigst. Dann frage ich mal den Chef, wo „ob er nochmal nach Belgien führe“.
Und nun, nach dem „geschäftlichen“ Teil, zu Deinem lieben Brief. Ich lese gerade „Huhn auf Reis“ in Köln. Heute mittag gibts bei uns wohl Reis, aber ohne Huhn. Ich sehe schon, heute Mittag esse ich wieder nichts. Tut mir nämlich ganz gut, denn ich möchte endlich einmal meinen dicken Bauch loswerden. Das Theater mit
der Bahn in Köln ist gut. So ist es aber immer, liebe Elsbeth, wenn man sich auf Andere verläßt. Die Erfahrung habe ich hier so oft gemacht, bis ich mich nur noch auf mich selbst verlassen habe. Da fährt man am besten mit.
Mit meiner Abneigung zu „meinem“ Bett hat es folgendes auf sich. Erstens mal schlafe ich nicht gerne an der Wand und Du hast mich ja da direkt von Anfang an hingedrängelt, weil Du natürlich das schönste Bett haben wolltest. Zweitens steht „mein“ Bett zu nahe an dem Kinderbettchen und so würde das arme Dorotheechen schließlich beim geringsten „Herumdrehen im Schlaf“ im Schlaf gestört. Drittens haben wir ja schließlich kein Geld, um zwei Wärmeflaschen zu kaufen, oder denkst Du, ich schmeiß' das Geld zum Fenster raus? Viertens: Denkst Du, ich sei Großfabrikant in Seife, daß Du in dieser seifenarmen Zeit auch noch doppelte Bettwäsche waschen lassen willst. Fünftens kann ich am besten auf der rechten Seite schlafen und dann würde ich Dir ja den Rücken zudrehen. Betrachtest Du mich so wenig als Kavalier? Sechstens, will ich der armen Leni Arbeit sparen und siebtens, wen soll ich denn, wenn ich allein bin im Bett liege, in den Armen halten, wen mit meiner Hand über die schönen Arme streichen, über die noch schöneren runden Brüstchen mit den schönen Knöspchen darauf, wen mit meiner Hand über den Rücken streichen und wohin sonst noch meine Hand hinlegen und meine Beine, wen soll ich sonst noch wärmen? Und was willst Du denn so allein? Aber das verstehst Du ja nicht!
So nun tue ich all das, was ich oben gesagt habe und küsse Dich ganz zart und innig auf Dein fiebriges Mündchen. Ich bin immer Dein getreuer
Hannes