Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 24. Oktober 1940
24. Oktober 1940
Meine liebe Elsbeth!
Zu Beginn einen herzlichen Gruß und einen festen Kuß.
Nun stell Dir mal das Pech vor. Wir bekommen keine Frontzulage mehr ab 11.10.40. Päckchen bis 1 kg dürfen wir nun in unbeschränkter Anzahl nach Hause schicken. Auch dürfen wir soviel wir tragen können über die Grenze mitnehmen. Nur ist jeder Kauf von Lebensmitteln (auch Kaffee!!!) allerstrengstens verboten. Bei den Franzosen ist es jetzt auch knapp geworden.
Heute habe ich „Erika“ bekommen und auch „Blau“ für Dorotheechen und Grau für ein Mäntelchen. Das Blau ist mir eigentlich etwas dunkel und das Grau vielleicht nicht farbig genug. Aber man kann sich leider die Stoffe nicht selbst machen. Wenn ich am 1.11. Geld bekommen habe, sehe ich noch einmal zu, daß ich für Leni ein Paar Strümpfe bekommen kann.
Hoffentlich hast Du Glück beim „Fotefieren“ gehabt.
Ich bin noch immer nicht dazu gekommen, Bestellungen für die Kameraden fertigzumachen.
Der von der Schreibstube, der, wie ich Dir schrieb, eine böse Krankheit hatte, hat anscheinend zulange mit dem zum Arzt gehen gewartet. Er ist vorgestern daher in ein Lazarett gekommen, da die Geschichte wahrscheinlich schon etwas vorgeschritten ist. Wenn das nicht passiert wäre, hätte er jetzt schon auch einen Urlaub hinter sich gehabt. Aber so ist es damit ja
n'a plus. Wer weiß, wann er jetzt über die Grenze kommt, denn auf jeden Fall nicht früher, als bis er vollständig gesund ist.
Ich muß ja nun sehen, daß ich „gesund“ bleibe, damit ich nicht bei meinem demnächstigen Urlaub Gefahr laufe, hier bleiben zu müssen. „Hach, fällt mir das schwer!“
Und nun drücke ich Dich in Gedanken an den Urlaub wieder mal ganz fest an mich und küsse Dich hierhin und dorthin und setze mich etwas neben Dich, bis wir vor Seligkeit nach hinten fallen und uns dann nur noch fester liebhalten und gern haben und nachher fein zusammen einschlafen. Es ist ja so schön, wenn man sich gern hat und einer des andern sicher ist. Keiner braucht bange zu sein, daß des andern Herz oder Körper durch etwas Häßliches an inniger Zugehörigkeit verliert. Und das Bewußtsein erhält uns ja auch das reine Gefühl gegeneinander. Und nun gebe ich Dir noch mal einen herzlichen Kuß und bleibe immer Dein getreuer Hannes.