Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 13. März 1943
13. März 1943
Meine liebe, liebe Elsbeth!
Zwei Tage schon im neuen Raum. Man fühlt sich richtig frei. Keine Ari schießt und kein M.G. Traurig ist nur, daß ich meinen Füller irgendwo verschwitzt habe. Vielleicht findet er sich aber wieder.
Nun etwas von hier:
Eine Gegend, herrlich. Unsere Unterkunft ist in einem Schloß, das einer Marchese (Gräfin) gehört. Im Schloß selbst liegt die ganze Kompanie, so viele Räume hat es. Der Kompanietrupp ist untergebracht in 2 großen Räumen, in die man unsere ganze Wohnung hineinstecken könnte. Es war das ehemalige Badezimmer mit Umkleideraum. Die „Badewanne“ ist aus schneeweißem Marmor. Der Boden aus verschiedenfarbenen Marmorplatten, die Decke und Wände sind mit alten Fresken geschmückt. Was muß das früher schön gewesen sein. Aber heute stehen keine Möbel mehr drin und die Gruppen haben den Marmorboden mit Stroh zum Schlafen ausgelegt. Um das Schloß herum ein ehemals schöner Park. Nun stelle Dir das Ganze vor
Auf der Höhe eines Hanges. Nach einer Seite fällt der Hang steil ab und man hat einen weiten, weiten Blick ins Land. Nach der anderen Seite beginnt ein Gelände, das teils landwirtschaftlich aussieht, aber auch viel, viel schönen Wald hat. Wald, eine Seltenheit in Italien. Direkt mit Bäumen, wie bei uns daheim. Sonst sieht man ja höchstens Olivenhaine, Pinien- und Zypressen-, Zitronen- und Apfelsinen-Haine, die aber niemals wie Wald aussehen, sondern wie Obstplantagen. Auch die vielen Palmen vermitteln ja keinen Waldeindruck. Überhaupt erinnert mich die Höhe an ital. Bücher, worin Dante und Michelangelo schon die schönen Hänge in der Umgebung ihrer Heimat bewundert haben. Wo die Adligen ihre Sommersitze hatten. Eine ganze Menge solcher Schlösser und Schlößchen liegen hier in unmittelbarer Umgebung. Herrliche Parkeingänge mit alten Marmorskulpturen, Parkfiguren aus berühmter Künstler Hand, schöne Brunnenanlagen, alles das vermittelt mir – eigentlich zum ersten Mal – das alte künstlerische und schöngeistige Italien. Es ist einfach herrlich. Wieder möchte ich sagen, das müssen wir mal gemein-
sam sehen!!! Man denkt an Michelangelo, Leonardo da Vinci, an das Buch „Die Verschwörung der Pacci“, „Die Hochzeit des Mönchs“, an Dante, vor allem an die Medici. Man spürt sie ganz nah und erwartet stets einen in eine Toga gekleideten Menschen in einem der Parks schreiten zu sehen.
Wie eben schon gesagt, liegt die gesamte Kompanie im Schloß. Lediglich der Chef und ich haben uns im Verwalterhaus einquartiert. Hier haben wir wenigstens Möbel um uns. Der Verwalter wohnt noch hier mit seinen Knechten. Das hat den weiteren Vorteil, daß wir auch am Tisch mit essen. Es gibt Kaninchen, Spaghetti, Käse, laufend Spiegeleier, Kartoffel mit Sooße usw. Morgens habe ich meine Milch und Du kannst Dir denken, daß ich es so gut aushalten kann.
Unser Zimmer ist sehr groß. Ein Bett, ein riesiger schön geblümter Diwan, eine Chaiselongue, Kommode, Stühle usw. 2 kleine Kammern sind angebaut. Ein Waschraum und ein Lokus. Der Lokus ist ähnlich, wie der alte Ließems Lokus, nur 1.) geht ein Rohr tief herunter, sodaß man
von der Sch… nichts mehr sieht, 2.) ist er nicht aus Holz, sondern aus feinem Marmor. Auch der Deckel ist eine dicke, runde Marmorscheibe mit einem kunstvollen Bronzegriff. So kannst Du Dir ein Bild von dem „Verwalterhaus“ machen.
Die Küche ist ein großer Raum. Der Boden Steinfliesen, an einer Seite steht ein riesiger Kamin mit anschl. steinernem Kochkamin. Das Länge des Kamins 5,50 m. Er ist etwas hochgebaut. Und zum Wärmen oder der Gemütlichkeit halber setzt man sich eben drauf direkt ans Feuer – wie auf ein Podium. Es ist so heimelig und gemütlich. Meine bescheidene Zeichnung zeigt Dir in etwa, wie es aussieht. Anschließend an den großen Kamin mußt Du Dir nun noch den Küchenkamin, genau dasselbe, nur kleiner, vorstellen, sodaß die stattliche Größe von 5,50 m herauskommt. Schränke gibt es in der Küche nicht. Geschirr, Kessel und Pfannen sind in Gestellen untergebracht oder hängen an der Wand. Aber sauber ist es hier. Abends, wenn ich in die Falle steige, habe ich immer Gewissensbisse
wegen meiner Läuse. Aber ich fange immer. Gestern abend waren es 16, die ich erwischte, also ganz so schlimm wie in Rußland ist es noch nicht. Heute morgen hatte ich Junge. Alles ganz klitzekleine Läuschen, die man schlecht finden kann. Vorgestern war ich auf Erkundung. Dabei kam ich durch 3 bekannte Städte. Die eine die Stadt der Medici mit seinem wunderbaren Marmordom [Florenz oder Siena], die andere mit dem bekanntesten schiefen Turm [Pisa]. Das Ding steht aber auch verdammt schief. Man könnte direkt Angst kriegen, der Turm fällt um. Sonst ist die Stadt fast restlos durch Bomben zerstört, aber der Turm, der Dom u. die alte Mauer [Siena] stehen noch. Es „war“ eine schöne Stadt, heute sind es nur noch Trümmer.
In „unserem“ Park blühen schon viele Blumen. Die Morgensterne (weißt Du die gelben Sterne) wachsen wie Krokus und Veilchen wild. Die Veilchen haben einen herrlichen Geruch. Sie duften viel stärker als unsere Veilchen. Außerdem gibt’s noch viele der blühenden Blumen, deren
Namen ich nicht weiß und die man zu Hause auch wenig sieht.
Zu jedem Essen trinken wir hier einen ganz netten Wein. Er ist keine Zier, aber ein schöner Landwein zum „täglichen Gebrauch“. Kaffee kochen sie garkeinen. Das wäre ja Aqua (Wasser) meinen sie dann. Und da haben sie ja auch recht.
So fühle ich mich denn im Augenblick ganz geborgen. Es ist so friedlich hier nach den heißen Tagen bei Nettuno. Sogar zu den Italienern, die uns so nett entgegenkommen, sind wir freundlich. Jetzt fehlt nur noch ein Komp.-Chef, mit dem ich mich etwas persönlich etwas harmonieren würde. – – – Kampmann, wann werde ich ihn nochmal so einen Chef haben? Hoffentlich kommt wenigstens Lt. Mehlhorn wieder.
Ich vermute, daß man mich hier bei der 3. Komp. festhalten wird. Sie haben effektiv keinen Anderen. In den letzten Tagen des vergangenen Einsatzes, als Lt. Mehlhorn ausgefallen war, und Lt. Just kam, sagte der Batl.-Kommandeur zu mir. „Also, Ließem, Sie machen mir keine Extra-Touren. Ich verbiete
Ihnen, sich in Gefahr zu begeben; denn wenn Sie auch noch ausfallen sollten, habe ich keinen mehr, der die Kompanie führen könnte.“ Und zu Lt. Just: „Haben Sie gehört, Sie nehmen ihn zu keinem gefährlichen Unternehmen mit!“ Es war mir peinlich, mich so gelobhudelt zu hören. und ich Haben die manchmal Ideen. Wenn man so weit zurückgeht, wo es nicht mehr schießt, kann man ja schließlich wenig nützen. Außerdem könnte man ja dann immer noch ein Bein brechen.
Und nun geht mal wieder Ausbildung los. Wäre doch das Alles, Alles mal vorbei. Was nützt mich Schloß, was Italien, was Batl. Kdo.? Ich will zu Dir. Will mich mal wieder ganz fest an Dich kuscheln, meinen Kopf an Deinen Hals, ich will Dich herzen und küssen und Dich ganz, ganz liebhaben. Will wieder mit Dir zusammen essen, zusammen lesen, mich mit Dir freuen und Dich liebhalten. Was wird das später wieder schön werden.
Bis dahin bleibe ich aber auch noch immer
Dein Hannes.