Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 21. Mai 1943
21. Mai 1943
Meine liebe, liebe Elsbeth!
Vorerst einmal herzlichen Gruß und Dank für Deinen ersten Brief. Das ist ja dumm, daß von Mattes noch keine Nachricht vorliegt. Wo mag er nur dran sein?
Gestern habe ich über Kampmann gestaunt, darüber, daß es noch Leute mit Rückgrat gibt. In letzter Zeit hatte er das Mädel hier in Berlin richtig liebgewonnen, in einem für „Soldat in der Großstadt“ selten anständigen Verhältnis. Zu gleicher Zeit reißt, jedoch nicht wegen mangelnden Bekümmerns durch Kampmann bei den Uffz. des Zuges, ein schlechtes Verhältnis zueinander ein. Gegenseitige Reibereien, Zänkereien usw., ferner die vielen Verhältnisse mit Mädels, färben natürlich sehr schnell auf die Mannschaft ab. In einer kameradschaftlichen Aussprache stellt K. sie daraufhin zur Rede. Hin und her fliegen Worte und dann entschlüpft einem Uffz.: „Ja, Herr Leutnant, Sie sind auch in letzter Zeit etwas anders geworden.“ Darauf fragt er, ob sie meinen, daß er jetzt, nachdem die Ausbildung im Einzelnen fast abgeschlossen ist, abends niemals andere, persönliche Interessen gehabt habe! Daß er sich etwas fester an ein durchaus anständiges Mädchen angeschlossen habe. Darauf sagt ein Uffz.: „Jetzt kommen wir der Sache schon etwas näher.“ Ausgerechnet diejenigen, die fast jeden Abend mit einer Anderen losziehen, sagen sowas. Daraufhin hat er noch am selben Abend mit dem Mädchen Schluß gemacht. Beiden ist es wohl hart angekommen.
Als er mir die Sache erzählte, habe ich ihm klarzumachen versucht, daß das doch wohl überflüssig gewesen sei. Erklärt,
beredet und das Unbegründete habe ich ihr und ihm dargestellt. Nein, sagt er, nicht ein Tüpfelchen soll der Zug denken oder fühlen, daß etwas zwischen ihm und mir steht. In erster Linie gehöre ich meinen Leuten. Alle Einwände, daß dies zu kraß sei und daß sich doch beides tun läßt, schlug er in den Wind.
Wenn auch seine Handlung in meinen Augen nicht richtig ist, bezw. überkorrekt, so muß ich doch das Opfer im höchsten Grad anerkennen.
Ich wollte nur, ich könnte weiter bei ihm bleiben. Und er wird mich auch sicher zu halten versuchen. Aber das Große und Ganze geht ja vor „persönliche Interessen“. Wenn ich die Zeit ab Minden [Heimatlazarett nach Verwundung in Russland] betrachte, wurde ich immer gerade dann versetzt, wenn ich mich eingelebt hatte und besonders, wenn ich mich mit einem Gleichgesinnten gefunden hatte. Ich denke dabei nur schon an Bredemeyer, Bürgemeister, Reese, Braun, Hoffmann und jetzt Kampmann. Sollte ich versetzt werden, heißt es wieder suchen. Denn beim Militär allein sein, ist trostlos.
Aber, wenn, es wird auch diesmal wieder werden, denn ein Soldat muß ja schon optimistisch sein. Wo käme er hin, wenn er immer schwarz sähe. So bin ich denn voll Hoffnung. Erstens, daß wir zusammen bleiben und zweitens, wenn nicht, daß ich wieder einen guten Kameraden finde.
Ich küsse Dich innig auf Deinen lieben Mund und bin immer
Dein Hannes.