Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 5. Juni 1943
5. Juni 1943
Meine liebe, liebe Elsbeth!
Nun bin ich endlich bei der Brüko, von wo ich ab nun zu Hause bin. Der Panzer-Vernichtungslehrgang ist zu Ende. Heute habe ich mich schon in meine Geschäfte als Zugführer des leichten Übersetzzuges einmal vertieft. Ich bekomme zum Transport meines Gerätes und meiner Mannschaften 1 schweres Krad mit Beiwagen, 7 große Lastwagen und 3 Anhänger. Außerdem habe ich heute zum erstenmal Sturmboot gefahren. Am Dienstag soll ich die Prüfung machen.
Nun muß ich Dir aber den Weg vom Lehrgang zurück nach hier erzählen. Ich mußte die Leute auf 2 LKW zurückführen, sah dabei 2 km rechts etwas, was meinen Blick auf sich zog. Wir haben den kleinen Umweg gemacht und ich hab’s nicht bereut. Etwas Schöneres habe ich wohl noch kaum gesehen. Wir kamen vor einen kleinen Fluß, etwas schmäler, als die Mosel. Am anderen Ufer lag ein Ort, ein altes Kastell, aber so malerisch, wie man’s sich eigentlich nur in der Fantasie vorstellen kann. Denke Dich in I. etwa 500 Jahre, in die Zeit des Mittelalters zurück. Ein Ort, wie er da war, dann nichts dazugebaut, nichts mehr angestrichen, nichts abgerissen, nichts neu angestrichen. Alles umgeben von einer hohen Stadtmauer, obenauf jahrhundertealte Agaven und Kakteen, dahinter die Flachdächer der alten Häuser, romanische Bögen, Höfe, die ein Gedicht sind, auch mit romanischen Bögen, altem Gitterwerk, römischen, bezw. südital. Cisternen, daran Frauen, die in alten, schönen, Krügen Wasser holen und auf dem Kopf davontragen. Sie tragen goldene Ringe in den Ohren, tragen auf ihrem schwarzen Haar, das gut zu den braungebrannten Gesichtern paßt, bunte Kopftücher. Schade, daß alles so dreckig ist. Im Mittelpunkt ragt der Turm einer Kirche aus dem 10. Jahrhundert.
Auf dem diesseitigen Ufer kommen Bauern mit ihren altertümlichen zweirädrigen Karren, bespannt mit Wasserbüffeln. Dies sind eine Art große, weiße Kühe mit ganz riesigen,
spitzen Hörnern. Dazwischen traben Schafherden, von kleinen 7 und 8 jährigen Buben, die fleißig Zigaretten rauchen, gehütet. Stelle Dir dann noch die strahlende Sonne am blauen Himmel, das blaue Wasser, an dessen Ufer die Pinien und sonstigen seltsame Bäume, im Hintergrund das Gebirge vor, dann hast Du in etwa einen Eindruck dieses malerischen Bildes.
Doch dann die Kehrseite. Man möchte sie am liebsten gar nicht sehen. In einem alten schönen Bau, nur vollkommen verwahrlost und zerfallen, ein Schweinestall. Einen halben Meter hoch der Mist, grunzende, schwarzgefleckte und stinkende Schweine, daneben, im Stall ein Lager, wo die Familie schläft!!!
Und rundherum wieder das malerische Bild der buntgekleideten Schnitterinnen, mit ihren Kopftüchern und ihren langgezogenen Gesängen.
Unser Zelt ist verschönt durch einen zusammengeschlagenen Tisch und eine Bank, die aber, wenn man aufsteht, wie ein Melkstuhl umfällt. Ich sitze daher auf meinem alten Handgranaten--Koffer und kann so besser schreiben, als bisher. Wir liegen im Zelt zu zehn auf einer Seite.
Dort sind auch die Moskitonetze ausgespannt. Die andere Seite ist nun frei für den Tisch und unser Gepäck. Unser Glanzstück ist aber das elektr. Licht, was wir uns mit einer kleinen Lichtmaschine selbst erzeugen. Es flackert aber wie eine Kerze, die im Durchzug steht und hat die schlechte Eigenschaft, gerade dann auszugehen, wenn man es noch gebrauchen könnte. Wie eben jetzt. Und dabei ist es erst 22,30 Uhr.
Gerade eben spürte ich ein Jucken am Oberschenkel. Ich greife mit der Hand ins kurze Hosenbein hinein und habe eine dicke Spinne in der Hand. Dieses Getier; Heuschrecken, Spinnen, Käfer, Mücken, Fliegen usw. ist etwas Dummes. Aber man gewöhnt sich an Alles.
Mit meinem „Unwohlsein“ ist es auch so ungefähr vorbei. Gut, daß es überstanden ist.
Gefreut habe ich mich heute besonders über Deine lieben, beiden Briefe. Sie waren noch nach Lgfa. Berlin gerichtet. Du wußtest also
noch nicht die Veränderung. Aber über Dorotheechen und Kindergarten habe ich so richtig geschmunzelt. Ich erwidere die Grüße aufs herzlichste.
Ich küsse Dich fest und innig.
Dein Hannes