Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 13. Juni 1943
Pfingstsonntag 1943
[13. Juni]
Meine liebe, liebe Elsbeth!
Schon tagelang höre ich im Geiste Deinen Schritt zum Briefkasten. Dorotheechen ist sicher schon ganz aufgeregt, daß wieder nichts kommt. Ich will Dir nun in kurzen Zügen die Zeit seit meinem letzten Brief beschreiben.
Am Tage darauf bei der Brüko vermeinte ich, vor Durchfall, Magen, Hitze, Fliegen und Mücken einzugehen. Das Nötigste habe ich nur machen können, obwohl die Arbeit zum Aufbau meines Zuges drängte. 32 Leute und etwa für 250.000,- RM Fahrzeuge und Geräte habe ich nun.
Da heißt es nun, prüfen, ob alles da ist, wie einzuteilen ist. Zu welchem Dienst, an den Sturmbooten, Floßsäcken, Kradschützensteg, Fähren, Fahrzeugen die Leute sich am besten eignen.
Der Zug soll ja auch was Vernünftiges werden. Darnach kam ich mit den noch am Sturmboot auszubildenden Leuten etwa 30 km von der Truppe weg zum Wasser. Mittlerweile ist der ganze Zug nachgerückt. Heute kamen die letzten Fahrzeuge u. Gerät an, darunter auch eine – – – Karbidlampe. Daher der Brief. Es sind mittlerweile 23,30 Uhr. Ich habe bis jetzt gearbeitet. So waren nun die ganzen Tage von morgens 5 od. 6 Uhr bis abends in die Dunkelheit, kleine
Zelte und kein Licht. Zwischen dem Dienst muß ich selbst auch meinen Sturmbootführerschein machen. Noch nicht mal mittags, wenn alles in der Hitze wie Tote herumliegt, komme ich zu was. Ob ich allerdings in der Mittagshitze auch einen Brief zusammenbrächte, ist fraglich. Der schönste Dienst ist natürlich die Sturmbootausbildung. Herrlich, so mit 30 km Geschwindigkeit über das Wasser zu fliegen, den Motor fest in der Hand, das Boot zu 2/3 hoch aus dem Wasser ragend. Und erst mal die Fahrten aufs Meer bei Wellengang. Das Boot springt förmlich von Welle zu Welle. Mein Gesicht, Arme und Beine sind braun wie ein Indianer. Nur unser Lager ist nicht besonders. In der Nähe des Lagers ist ein einziger „Baum“. Er ist schon mehr Strauch, als Baum, etwa in Größe eines Fliederstrauches. Mittags liegen die Leute, zum Schutz gegen die Fliegen teils trotz der Hitze in Decken gehüllt dicht an dicht um dieses kümmerliche Gewächs herum. Da die Sonne aber fast senkrecht steht, ist von Schatten kaum was zu spüren. Und trotzdem ist es schön, daß man für sich ist. Es ist, wie eine große Familie. Einige
Leute sind nicht berühmt, aber der größte Teil ist in Ordnung.
Am Dienstag ist hier Schluß, dann geht’s wieder zur Brüko zurück. Eigentlich sollten wir noch bis nächsten Samstag bleiben, aber die Sache wurde plötzlich abgebrochen. Mit meiner Versetzung habe ich mich eigentlich schnell abgefunden. Erst tat es mir ja und tut es auch noch jetzt leid, von den alten Kameraden wegzukommen. Aber erstens komme ich kaum dazu, darüber nachzudenken und dann wächst ja doch mit der größeren Verantwortung auch neben der Arbeit die Freude an der größeren Aufgabe.
Mein ganzes Kreuz tut schon weh. Ich hocke auf der Erde, zwischen den Knien die Hülle meines Stolzes (den Laternenkasten) und der Stolz selbst, die im hellen Glanze erstrahlende, wirklich schöne Karbidlaterne, hängt an der Zeltleine, neben mir. Manchmal brummt und rumort es in ihr und manchmal zischt und faucht es. Dann bekommt sie zuviel Wasser.
Wir liegen am Fluß gegenüber dem Ort, den ich Dir schon mal im Brief beschrieb. Alt, Mauer mit Agaven u. Kaktussen. Auch drin bin ich schon gewesen. So etwas Altes, Malerisches, aber auch so was Dreckiges habe ich in Wirklichkeit noch nicht gesehen.
Nun küsse ich Dich innig auf Deinen lieben, lieben Mund und halte Dich ganz fest lieb. Ich grüße Dich und Dorotheechen und bin immer
Dein Hannes.