Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 26. Juli 1943

26. Juli 1943

Meine liebe, liebe Elsbeth!

Recht herzlichen Dank für Deine beiden lieben Briefe vom 15. und 17. Juli, die nach so langer Pause gestern ankamen. Dazwischen müssen ja wieder eine Menge Briefe fehlen. Ich schreibe alle 2 – 3 Tage regelmäßig. Länger habe ich seit damals, als wir die Sturmbootfahrschule hatten, nicht mehr gewartet. Und meistens schreibe ich lange Briefe, die ganz ausführlich von irgendeiner Fahrt, oder irgendeinem Erlebnis berichten. Und ich bilde mir sogar ein, daß die Briefe für Dich interessant sind. Hast Du z.B. den „Abruzzen-Brief“ bekommen? Auch habe ich Dir geschrieben, daß ich nicht in Sizilien eingesetzt bin. Eigentlich wäre ich allerdings gern dabeigewesen. Gestern kam eine Meldung durchs Radio: Die „Daily Mail“ berichtet in einem ausführlichen Artikel, daß sich die Division Hermann Göring in Sizilien verbissen wie die Japaner schlagen würden. Das gibt einem einen gewissen Stolz, aber auch eine gewisse Wehmut, daß man abseits dabei stehen muß. Dir wird es ja recht sein.

Über eines habe ich mich in Deinem Briefe mächtig gefreut und Du glaubst nicht, wie ich nun endlich beruhigt bin, daß Du Dich endlich in ärztliche Behandlung begeben hast. Schmerzlich ist mir nur, daß die Sache so schlimm geworden ist. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß Du doch mal wieder körperlich die Alte wirst.

Den Ausschlag hatte ich entweder durch die kleinen Anfälle oder vom Obst essen. Er war so stark, daß er von der Lippe bis hoch in die Nase ging. Gestern nun habe ich meinen Schnurrbart abrasiert und eine Stunde später kam Dein Brief, wo Du mich gern einmal mit Schnurrbart sehen möchtest. Soll ich ihn mir nochmal wachsen lassen?

Die Nachricht von Mattes hat mich sehr gefreut. Ich nehme an, daß er vorläufig noch im Dulag Kairo ist, bis er endgültig zu irgendeinem der Lager: Südafrika, Kasablanka,

Kanada oder Indien verlegt wird. Die Hauptsache ist ja, daß er lebt und in engl. Gefangenschaft hat ers verhältnismäßig gut. Wenn er zu irgendeinem Lager kommt, darf er schreiben, darf Post und Päckchen empfangen, hat eine anständige Behandlung und ausreichende Kost zu erwarten. Wahrscheinlich wird er auch als Sanitäter eingeteilt werden und wenn nicht, wird sich sein vielseitiges praktisches Können, sein anständiger Charakter, sehr zu seinen Gunsten erweisen.

Mache Dir bei den Alarmen nicht zuviel Sorgen um Möbel und Wäsche. Wenn es mal soweit kommen sollte, rette Dich und Dorotheechen. Auf alles, auch auf die liebsten Gegenstände, will ich gern verzichten, bleibt Ihr beiden mir nur erhalten.

Einmal habe ich beim Lesen Deines Briefes laut gelacht, sodaß mich die Kameraden frugen, was ich hätte. Dann habe ich ihnen die Stelle aus Deinem Brief vorgelesen, wo Du mir ein ordentliches Paket Pfirsiche machen möchtest. Liebe Elsbeth, mit Pfirsischen und mit jeder Sorte Obst kann man sich hier totwerfen. In jeder Ortschaft stehen die Stände höchstens alle 50 – 100 Meter auseinander, an denen man Pflaumen, Apfelsinen, Zitronen, Pfirsiche, Aprikosen, Reine Klauden usw. kaufen kann. Ein Kilo Pfirsische kostet 4 – 5 Lire = 52 – 65 Pfennig. Tomaten ernten wir selbst auf den Feldern. Wäre das ein Witz, wenn mal ein Obstpaket, durch die Hitze vollkommen matschig und ungenießbar geworden, hier ankäme.

Lenis Tante Gretchen ist ja ein Prachtengel. Grüße sie einmal von mir. Ich schreibe, was ich äußerst selten tue, in der Mittagpause. Dabei sitze ich ruhig im Schatten. Aber der Schweiß liegt in Bächen auf meinem nur mit Badehose bekleideten Körper. Wie ein kleiner Schuljunge habe ich unter meiner rechten Hand ein Stück Papier liegen, sonst wäre der ganze Briefbogen naß.

Ich bin so fast nackt ein begehrenswertes Opfer für die Fliegen. Aber, das mir das Schreiben so möglich ist, zeigt

Dir mal wieder, in welch ausgezeichneter gesundheitlicher Verfassung ich bin.

Im Dienst werden jetzt mit Hochdruck die Sturmboote fertiggemacht. Es ist eine recht befriedigende Arbeit, da alles neu aufgebaut werden mußte. Ich bilde mir ein, daß ich meine Arbeit gut leiste. An sämtlichen Bootskörpern und Motoren war früher niemals was gemacht worden, da keine Leute dazu eingeteilt waren. Halbe Boote waren zerbrochen, sämtliche undicht, Vierlinge kaputt gerissen und ab. Spanten ausgebrochen, kein Boot lag im Anstrich usw. usw. Jetzt muß habe ich morgen abend sämtliche Bootskörper in einmonatiger Arbeit fertiggebracht. Ich habe verschiedenerlei Handwerker im Zug. Und ich habe so einen kleinen Stolz, daß ich mit meinem Zug einen tadellosen Sturmbootzug auf die Beine gebracht habe. Morgens hatte ich schon immer einen festen Tagesplan. Dann werden die Leute dazu eingeteilt: 3 machen Schreinerarbeiten. Dazu mußte zuerst Holz beschafft werden. Dann eine Schreinerei ausfindig gemacht werden, die eine Maschinensäge hatte, das Holz auf verschiedene benötigte Stärken zurecht geschnitten, dann fehlten Schrauben. Nach N. gefahren und Schrauben besorgt. Und so konnten nun die 3 Schreiner angesetzt werden, die Tag für Tag an den kaputten Booten arbeiteten. Dann mußten die Körper gedichtet werden. Dazu brauchte man Dichtungsmasse, Zinkblechstreifen, Spachteln, bestimmte Nägel. Und dann erst konnten dauernd 4 Mann dichten. Dann waren sämtliche Körper trocken, also anstreichen. Also, Farbe besorgen, Pinsel besorgen und dann 4 Mann ans Pinseln stellen.

Dann waren Eisenwinkel abgebrochen. Eisen besorgen, Schrauben besorgen, Schmiede und Schweißapparat haben wir da. Eine Werkstatt ausfindig machen, die eine Bohrmaschine haben und dann 2 Schlosser anstellen. Motore kaputt. Leute sind nach Deutschland geschickt worden, um kaputte Wellen und Kolben zu holen. Dem Zurückkehrenden wurde wird das Paket auf der Frontleitstelle vertauscht. Hinter dem fremden Soldaten fahnden. Und nun sind auch diese Sachen glücklich angekommen. Und nun stehen auch die Motorenschlosser mit neuen Sachen da. Für sechs Boote

fehlen mir die Anhänger zum Verladen. Vom Chef 2 Lastwagen bekommen und dann habe ich selbst die Aufbauten, die ziemlich kompliziert sind, entworfen. Dabei mußte berücksichtigt werden, daß nur Hölzer und Eisen zur Verfügung stehen. Jedes Teil gezeichnet, berechnet und nun anfertigen lassen. Am Mittwoch können wir nun auch an diese Arbeit gehen. Dazwischen hatte ich noch immer Vervollkommnungen und Verschönerungen vor. Z. B. das Hai-Zeichen, dann eine Vorrichtung zum Einnebeln usw. Und immer wieder fehlte es an kleinen Pinseln f. den Hai und weißer Farbe, an Rundeisen f. die Nebelhalter usw. usw. Jetzt habe ich nicht nur meine Boote mit der notwendigsten Pflege versorgt, sondern vollkommen neu gemacht. Demnächst will ich sie auch noch seetüchtig machen für schweren Seegang. Versteifungen einbauen, die vordere Hälfte nach Paddelbootart mit einer Spritzdecke versehen. Dazu muß ich wieder Hölzer schneiden, Eisenbuchsen anfertigen lassen und Segeltuch beschaffen. Vorläuf bin ich aber froh, daß ich alles soweit einsatz- und verladebereit geschafft habe. Jedes Einzelne habe ich mir selbst überlegt, ausgedacht, gezeichnet, berechnet und angeordnet. Fachleute hatten nie was gegen einzuwenden. Der Chef ist ja prima. Er läßt mich selbständig arbeiten und hat selbst seinen Spaß daran, daß alles so ordentlich wird.

Nun habe ich so viel von mir geschrieben, was nach Eigenlob, sogar recht stark, riecht. Aber ich bin so froh, daß mir alles so schön, trotz vieler Schwierigkeiten, geklappt hat, daß ich mich Dir mitteilen möchte. Du verstehst es hoffentlich nicht falsch. Und was waren das beim Beschaffen von Eisen und Schrauben usw. manchmal für Schwierigkeiten. Will man was kaufen, sagt der Rechnungsführer: „Ja, Schrauben darf ich nicht aus der Kasse bezahlen, da dies vom . . .

angefordert werden muß. Eine Anforderung läuft aber Monate. Außerdem ist das, was man braucht, bekanntlich nie am Lager. Man muß also entweder im Lager klauen, od. ein anderes Lager aufsuchen und dem was vorschwindeln, oder wie ich es auch schon machen ließ, aus alten unbrauchbaren Geräten oder Kisten Schrauben der gewünschten Art herausdrehen. So ist es mit Eisen, mit Farbe, mit Segeltuch usw. Ich glaube, ich habe noch nie so Produktives geleistet. Will als Bürokrat ja auch nicht viel besagen.

Am Dienstag mache ich mit den neuen Booten seit langer Zeit zum erstenmal wieder Fahrschule. Wir fahren dann ans Meer. Zum erstenmal werden die neugestrichenen und schnittigen Boote mit MG-Geknatter und Nebel, den Bug mit dem weißen Hai hoch aus den Wellen ragend, übers Wasser brausen mit lautem Motorengedröhn, jedes Boot 3 anständige, schnurgerade Wellen in Keilform hinter sich lassend. Es kommt mir vor, als feiere ich dann ein kleines Richtfest.

So etwa sieht eine Staffel von 6 Booten in Kiellinie aus:

In der Kurve

Die Wellen sind dann natürlich nicht mehr gerade, sondern laufen mit der Kurve.

In der Geraden so:

[Abbildungen]

Die erste Welle wird dort gebildet, wo der Bootskörper, etwas hinter der Mitte, das Wasser berührt (Bugwelle), die zweite (Heckwelle), dort wo das Heck im Wasser liegt, und die dritte (Schraubenwelle) wird durch die Umdrehungen der Schraube gebildet.

Und nun liebe Elsbeth, habe ich Dich genug durch Fachsimpeleien gelangweilt.

Vielleicht hast Du auch den Kopf voll von anderen Dingen. So nehme ich Dich denn auf meinen Schoß und halte Dich fest lieb. Ich küsse Dich innig auf Deinen lieben,

lieben Mund und bin immer
Dein Hannes

Zweig einer Olive, damit Du weißt, wie die Farbe olivgrün aussieht. d. h., wenn die Blätter nicht verwelken unterwegs.