Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 6. August 1943
6. August 1943
Meine liebe, liebe Elsbeth!
Ich bekam einige uralte Briefe von Dir aus der letzten Juni-Hälfte. Neue Post kommt ja sehr, sehr stockend. So habe ich mich aber auch über die alte Post gefreut.
Ich stecke jetzt bis über den Kopf in Arbeit drin. Wir haben etwa 180 neue, junge Rekruten bekommen, die flüchtig 3 Monate in Utrecht ausgebildet sind. Diese sollen nun weiterausgebildet werden. Ich bin nun, da Braun ja in Urlaub ist, leider der einzige Feldwebel, der für den Außendienst in Frage kommt und hänge so von morgens bis abends 7.00 Uhr, Mittagspause abgerechnet, draußen im Gelände. Dazu fehlt es auch an Gruppenführern, da die Jungen von 18 Jahren ganz plötzlich ohne Ausbilder hier ankamen. Schattenlos brennt dann die Sonne und Einer nach dem Anderen, die das ja noch nicht gewöhnt sind, kippt aus den Latschen. 17 Mann sind schon im Lazarett. Sie müssen, wie wir, auch erst mal über den Berg hinwegkommen. Abends nehme ich dann die Gruppenführer vom Stubozug (Sturmbootzug) zu mir, lasse mir berichten und gebe Anweisung für den nächsten Tag. Ich habe jetzt also praktisch den 1. Zug (Stubo) und den 2. Zug, außerdem die anderen 3 Züge zu beaufsichtigen, da diese nur mit Uffz. besetzt sind.
Seit 2 Wochen können wir sogar Wasser trinken. Ich schrieb Dir ja schon von der klaren, kalten Quelle. Dieses Wasser ist frei von Typhus-, Malaria- oder was weiß ich für Bazillen, die erste, bzw. das erste Wasser dieser Art, was wir in Italien angetroffen haben. Der Kaffee war natürlich, und ist es noch, ein Ding für sich und ihn zu trinken, ist keine Freude. Aber, wenn man jetzt müde und verschwitzt, mittags oder abends aus dem Gelände kommt, wartet ein köstlicher Becher frisches, klares und meist sogar kühles Wasser auf einen. Ein Genuß für uns wie für Dich eine Tasse Bohnenkaffee. Aber ohne Übertreibung. Manchmal hat man natürlich Pech, wenn es schon 2 Stunden vorher geholt wurde. Dann sind die Wasserkanister schon alle warm.
Anfang der Woche war ich mit meinen neu instandgesetzten Booten am Meer. Das Herz hat mir im Leibe gehüpft, wie die Boote in ihrem frischen Anstrich, den weißen Hai an der Schnauze, alle in Kiellinie über das Wasser brausten, kurvten, auffuhren, abbrachen, durch eine künstliche Nebelwand vorstießen usw.
Jetzt ist hier die Zeit der Pfirsische und Melonen. Leider muß ich jetzt schon wieder sparen, denn das Geld muß ich ja zum größten Teil für Zigaretten aufheben, die hier sehr teuer sind. Aber ab und zu leiste ich mir doch schon mal 1 Kilo Pfirsische zu 1,00 RM oder eine Melone, ebenfalls 1,- RM. Unter diesen gibt es viele Unterschiede. Manche schmecken wässrig süß, wie Gurken, wie Kürbisse. Und manchmal hat man Glück, daß man so eine recht saftige Zuckermelone erwischt. Darunter sind welche, die schmecken genau so wie Bananen, nur süßer und saftiger. Aber wir „Ausländer“ kennen die Früchte noch nicht so, können uns auch schlecht mit den Italienern verständigen und erwischen dadurch manchmal solche, die wie Gurken schmecken. Von außen sieht man es den Früchten ja nicht an, was unter der Schale steckt.
Auch werden an allen Ecken schon die ersten Weintrauben verkauft. Sind für uns aber noch zu teuer, Kilo noch etwa 1,35 – 2,00 RM. In zwei Wochen denke ich, daß sie billiger sind.
Tomatenfelder sind hier wie bei uns Rübenfelder. Sie stehen in großen Feldern, werden überhaupt nicht gepflegt, angebunden oder begossen, sondern wachsen wie große Kartoffeläcker einfach wild auf. So ein Feld sieht auch äußerlich wie ein Kartoffelfeld aus, da die Stauden nicht hochgebunden werden. Abends geht Klingl oft welche „besorgen“.
Übrigens zu Klingl (mein Putzer). Ihm ist vor einigen Tagen ein Malheur passiert. Er sollte meine M.P. (Maschinenpistole) reinigen. Beim Aufnehmen geht das Lisst Licht aus. Er will die Waffe auf den Tisch legen, stößt anscheinend im Dunkeln irgendwo an, im Augenblick sind 3 Schüsse draußen. Ein Gefreiter, der sich etwa 10 m vor dem Zelt aufhielt, wurde dabei verletzt und starb eine Viertelstunde darauf. Es kann für Klingl dumm auslaufen, da die Sache über das Kriegsgericht läuft.
Gestern sollten wir von N. unsere monatl. Marketenderware empfangen. Der Kantinier hatte Zigaretten, Tabak, Schokolade,
Trauben, Pfirsische und alle möglichen Kantinensachen aufgeladen und bezahlt. Da kam Fliegeralarm. Die Leute konnten gerade in Deckung gehen, da rummste es schon. Volltreffer in den Wagen, alles kaputt und verbrannt. Hoffentlich bekommen wir wenigstens die Zigarettenzuteilung nochmal, sonst sitzen wir damit einen Monat auf dem Trockenen.
Wie wir „Alten“ uns an das Klima gewöhnt haben, sieht man am besten an den Neuen. Bei denen ist der Durchfall, Fieber, Ausschlag, Leibschmerzen, Sonnenbrand, Ohnmachtsanfälle in voller Blüte. M.E. ist es bei ihnen sogar schlimmer, denn sie sind doch erst 18 Jahre. Ich bin doch immerhin schon 34 und die ganze Natur gefestigter. Und jene sind noch im Wachstum. Wenn man sieht, wie es denen jetzt so schlapp und elend ist, kommt es einem komisch vor, daß man selbst so wohlauf ist.
Aber in ein paar Wochen werden auch sie darüber hinweg sein. Der Dienst geht auf jeden Fall weiter, nur der Sanitäter hat mehr zu tun.
So, und nun küsse ich Dich innig auf Deinen lieben, guten Mund, obwohl mein Gesicht und meine Lippen jetzt in der Mittagszeit vor Schweiß glänzen. Ich drücke Dich fest an mich und bin immer
Dein Hannes.