Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 1. September 1943
1. September 1943
Meine liebe, liebe Elsbeth!
Einen schönen Morgen habe ich heute. Die Leute mußten bis auf Wenige weg zu einem Baukommando, sodaß ich mir den Morgen einmal nach Herzenslust einrichten kann.
Deine Briefkarte mit der Karte von Albrecht erhielt ich gestern Abend. Jetzt, wo wir wieder hier sind, warte ich schon immer sehnlichst auf Post von Dir. Also, Paul Prevot hat es nun auch gepackt. Ein so starker, strammer, guter und schöner Mensch bekommt plötzlich ein Stück Blei oder Eisen zwischen die Rippen und mit dem jungen, schönen Leben ist es ein für alle Male endgültig vorbei. Und dieses Geschick ereilt tausende ebenfalls junge und zukunftsfrohe Menschen.
Vor 3 Tagen waren es bei mir nun 4 Jahre, daß ich Soldat bin, 4 lange Jahre, voll Entbehrungen für Dich und für mich vieles Herumgeschmeiße. Lichtblicke waren der Urlaub, Minden, Arnsberg, Bernkastel. Bernkastel! Der erste schöne Augenblick, als ich am Telefon stand, mich wegen der Verwundung noch krampfhaft an der Wand festhaltend, und dann Dein erstauntes „Hannes“ hörte. Und am anderen Tage. Morgens, als Du noch unmöglich da sein konntest, fuhr ich bei jedem Türenschlagen auf. Und nachmittags . . . . Zuerst kam Dorotheechen mit ihren ulkigen Zöpfchen ins Zimmer und dann Du wie Du leibtest und lebtest, ganz Du, der erste Kuß, dann setztest Du Dich zu mir. War das ein Fest. Was bedeutete da das kleine Loch oder die kaputte Rippe? Wir waren ja nach einer Zeit, die mich durch das Ganze, was man mitgemacht hatte, ein Jahrzehnt dünkte, wieder zusammen. Wie schön war es, als wir zum erstenmal in unsere Wohnung kamen. Blumen überall.
Und ich stand da, durch Rußland an ganz andere Anblicke gewöhnt, in meiner Steppjacke wie ein Bär und bestaunte unser schönes Heim mit der neuen Anrichte, den schönen Blumen. Ja, manche Augenblicke in diesem Krieg waren des Erlebens wert.
Ich füge eine Zeitung bei, in der in einem Bericht ganz am Rande unsere Sturmboote in Sizilien erwähnt sind. Bald habe ich die verbliebenen Motore wieder klar. Übermorgen will der Chef und ich einmal die Küste, an der einige Kompanien Sperren angebracht haben, abfahren.
Eben bringt man mir Deinen Brief vom 17. ds. Mts., in dem Du schreibst, daß Frau Fuchs Dir die Aufgabe Siziliens mitgeteilt hat. Wahrscheinlich verlud ich zur gleichen Stunde die zuletzt im Sizilieneinsatz verwandten Maschinen und Geräte, gingen vor dem Artilleriefeuer in Deckung und benutzten jede Feuerpause, um wieder ein Boot oder einen Floßsack zu verladen. Meiner Ansicht nach kann es nicht mehr lange dauern, daß wir irgendwo zu einem Schlag, der schon ein ganzes Jahr vorbereitet wird, ausholen, der eine Entscheidung bringen muß. Darauf verlasse ich mich und dieser Glaube läßt einem den Kopf trotz Vielem nicht hängen. Denkt in der Heimat auch daran. Und wenn manchmal von irgendwoher scheinbare Niederlagen gemeldet werden, denkt daran, daß irgend etwas Großes in Vorbereitung sein muß; denn wäre das nicht der Fall, müßte die augenblickliche Kriegslage wesentlich anders aussehen.
Mittlerweile ist es Mittag geworden.
Irgendwo, ob in Deutschland oder sonstwo, liegt etwas, Gerät und Menschen und warten und warten, bis der Ruf an sie ergeht. Ich weiß es nicht, reime mir das so zusammen, aber glauben tue ich daran. Wäre das nicht, würde der Krieg ja noch endlos dauern und von der Führung nicht zu verantworten sein. Also, trotz allem, Kopf hoch. Über das „Kämpfen“ der Italiener schreibe ich Dir nichts. Das Heinz Ritter das EK II bekommen hat, freut mich für unseren „Hausfreund“. Für mich ist es auch beantragt. Ob ich es nun bekomme, weiß ich nicht. Vielleicht ist es durch den großen Stellungswechsel verloren gegangen. Es dauert nämlich verdächtig lange.
Daß Du wieder ausgehen kannst, freut mich. Hoffentlich habt Ihr noch schönes Wetter, daß Du mit Dorotheechen noch öfter an die Luft kommst. Wenn Ihr so ein Wetter habt, wie wir, kannst Du getrost mit „Spielhöschen“ ausgehen. Heute mittag habe ich auf dem Bett gelegen. Als es zum Antreten pfiff, erhebe ich mich in Schweiß gebadet. Aber es tut einem nichts mehr.
Im Augenblick herrscht Malaria bei den Einheiten. Es muß wohl jetzt die richtige Zeit dafür sein. Jeden Tag müssen Tabletten geschluckt werden. Ein besseres Mittel, das beste was es dagegen gibt, ist . . . . . . . soviel wie möglich rauchen und ab und zu einen
Schnaps. Ob dieses „Hausmittel“ tatsächlich zu Recht besteht, weiß ich nicht. Tatsache aber ist, daß bisher kein Raucher ins Lazarett von uns gekommen ist.
Braun, der bisher nur schon mal zur Gesellschaft geraucht hat, qualmt nun auch ziemlich feste. Eine andere Erscheinung ist Gelbsucht, eine andere geschwürartiger Hautausschlag, der sehr stark eitert.
Wir haben jetzt Tropenbetten bekommen, wenigstens für die Offz. und Feldwebel. Es schläft sich darin tadellos. Es sind ganz leichte Rohrgestelle mit in der Mitte gespanntem Draht oder Segeltuch. Es schläft sich so bedeutend angenehmer. Auch haben wir wieder unser Zelt aufgestellt.
Eier kann man hier auch auf den Höfen bekommen. Kosten allerdings 5 Lire das Stück (etwa 65 Pfennig). Die Trauben werden immer schöner, größer und süßer. Wenn man an einem Händler vorbei kommt, zuckt die Hand unwillkürlich zum Geldbeutel, aaaber – 10 Lire (1,30 RM) das Kilo. Nun, manchmal kommt man auch hier nochmal an einem offenen Weingarten vorbei und husch, husch, hat man sich eine Feldmütze voll genascht.
Und nun, liebe Elsbeth, küsse ich Dich ganz innig auf Deinen lieben guten Mund
und bin immer
Dein Hannes
Unser General, Generalmajor Konrad, hat für den Sizilieneinsatz das Eichenlaub zum Ritterkreuz bekommen.