Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 3. September 1943
3. September 1943
Meine liebe, liebe Elsbeth!
Vorerst mal wieder einen recht herzlichen Gruß. Dann eine Neuigkeit, die mir nicht angenehm ist. Ich beginne wieder, dicker zu werden. Durch die erste Zeit hier in Italien, die Hitze, Durchfall, Fieber, hatte ich es zu einer adonisartigen Schlankheit gebracht und nun, nach Überwindung dieser Kinderkrankheiten, hat sich bei mir in letzter Zeit ein infernalischer Hunger eingestellt, der dank der guten Kochkunst unseres Küchenuffz. und der vielen Kartoffeln laufend in erschrecklichem Maße gestillt werden kann. Und was ich so verdrücken kann, weißt Du ja.
Es entwickelt sich bei mir wieder so ein kleiner Kartoffelbauch, mit dem ich, gäbe es Urlaub, kaum bei Dir erscheinen könnte. Oder wie denkst Du darüber. Gestern war Klingl mit einer Wäschetasche, Du kennst sie ja, los und brachte sie gespickt voll blauer, schöner Weintrauben. Wir haben sie noch im Laufe des gestrigen Abends zu Dritt vollkommen „leergemacht“. In der Nähe ist nämlich von uns ein Weingarten entdeckt worden, der allerdings von ital. Militär „bewacht“ wird. Aber mittags „schläft“ die „Wache“ anscheinend ihr Mittagsschläfchen.
Ich bin einmal gespannt, was Klingl vom Kriegsgericht wegen des damaligen Unfalles mit meiner M.P. aufgebrummt kriegt.
Wahrscheinlich werden wir in den nächsten Tagen ein kleines Stück (ca. 1000 m) verlegen. Wenn nämlich die Regenzeit kommt, steht bald das halbe Land unter Wasser und wir können mit unseren Fahrzeugen nicht mehr hier heraus. Es herrscht hier in der Regenzeit eine sündhafte Überschwemmung. In einigen Tagen soll dann der Fluß 5 – 6 m steigen. Eine tägliche Niederschlagsmenge von 150 mm gibts hier, während die höchste Zahl in Deutschland 70 mm beträgt. Ich bin auf diese Sintflut einmal gespannt.
In Deinem letzten Brief las ich, daß Du mir einen Napf und Bestecke schicken wolltest.
Ich schrieb Dir aber schon vor ziemlich langer Zeit, daß ich Teller, Tasse und Besteck hier empfangen habe. Sollten die Sachen noch nicht abgegangen sein, halte sie da.
Auch mir ist die Zeit seit meinem letzten Urlaub entsetzlich lang geworden. Wie kommt das nun? So lange ist es doch noch
garnicht her. Und an neuen Urlaub ist absolut noch nicht zu denken. Wenn Du nochmal ein Päckchen abschicken kannst, könntest Du mir noch mal etwas Schreibpapier und Umschläge schicken. Außerdem, wenn es das ohne Marken und überhaupt gibt (vielleicht bei Vater), so ein kleines Schächtelchen Süßstoff. Man kann sich damit schon mal Zitronenwasser machen oder etwas in den Kaffee tun. Vergeblich schaut man sich auch hier nach Füllertinte um. Nach N. komme ich auch nicht mehr, wo „vielleicht“ etwas von diesen Sachen zu haben wäre.
In meinen Zug habe ich nun auch 2 M-Boote bekommen. Das sind regelrechte Motorboote mit eingebauten 100 PS-Motoren, die über 1000 Tonnen schaffen können. Sie sind etwa 50 Zentner schwer und werden mittels eines Steuerrades und 3 Steuerblättern gesteuert. Mit den Sturmbooten, die — Motor und Bootskörper — ca. 7 Zentner wiegen, macht es ja mehr Spaß, weil die Dinger viel Leichter und „sportlicher“ sind. Mit dem ganzen Motor wird da gesteuert. In den M-Booten sitzt man bequem auf einer Bank und bedient in Ruhe das Steuer. Demnächst werde ich auch hierfür die Steuermannsprüfung ablegen.
So, nun möchte ich mich etwas zu Dir setzen, an unseren Kacheltisch, eine gute Tasse Kaffee trinken, ein Stückchen Kuchen (oder zwei) essen, etwas lesen, etwas Klampfe spielen, dann mit Dir zusammen alte Photos durchschnüffeln, von früher erzählen, etwas mit Dorotheechen spielen, vielleicht Laterna-magica, Bilder durchschnüffeln und etwas Neues für den Wechselrahmen suchen, dann vielleicht einmal nach Bonn fahren, in einer Buchhandlung und bei Kleinschmidt herumstöbern, in einen recht lustigen und fröhlichen Film gehen, irgendwo ein Rumpsteak mit Zwiebel und Apfelkompott essen, wieder nach Hause fahren. Zu Hause nochmal gemütlich am Kacheltisch mit einem Glas Wein anstoßen und mit etwas ganz, ganz Schönem den Tag beschließen.
In diesem Gedanken küsse ich Dich fest und innig auf Deinen lieben Mund und ganz zart auf Deine liebe, kleine Brust. Ich bin immer
Dein Hannes.