Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 11. September 1943
11. September 1943
Meine liebe Elsbeth!
Vorerst wieder mal einen herzlichen Gruß. Die letzten Tage habe ich keine rechte Zeit zum Schreiben gehabt. Unsere Züge sind etwas auseinandergezogen worden. Ich bin mit meinem Zug auf dem alten Platz liegengeblieben und komme mir vor, wie ein Kommandeur. Mit meinem
Zug mache ich jetzt eine Brückenstelle. Gestern sahen wir eine Masse, anscheinend eine Division Italiener über diesen Fluß zurückgehen. Da die Brücken auf eine Strecke von etwa 40 km durch Bomben zerstört sind, wateten die Italiener durch den Fluß, der ihnen allerdings nur bis in Magenhöhe geht. Es sah trostlos aus, wie eine Safari in Afrika, die einen Fluß durchschreitet. Manche hatten sich Schuhe und Hosen und Röcke ausgezogen und trugen sie auf dem Kopf, damit alles trocken bleiben solle. Manche aber auch gingen so, wie sie ankamen, durch den etwa 80 m breiten Fluß. Es trocknet ja in der Sonne alles wieder rasch. Die Rucksäcke hingen dann bis zur Hälfte im Wasser drin. Nachmittags kamen 2 ital. Generale. Ein ital. Offizier stand am Ufer und sah der Auflösung traurig zu. Er war so verbittert, daß es zu sowas gekommen war. Aber die Italiener kennen nur noch eins: „Zurück, zurück!“ Jetzt kann man es ja sagen: praktisch hatte die „Waffenbrüderschaft“ schon lange nur noch gehindert. Das Volk ist gedrückt. Aber wir leben jetzt etwas auf. Es weht ein frischer Wind. Nun wissen wir, woran wir sind und alles ist klarer. Auch, daß wir Südtirol wieder haben, freut uns.
An dem einen Tag heute merken wir den frischen Wind schon. Heute kamen, wie täglich, die amerik. Bomber, wurden aber von schwerer Flak so in Empfang genommen, wie wir es zuvor noch nicht hier in der Gegend erlebt haben. Wir haben hier in unserem Lager fabelhafte Gräben, die wir bei Bombenangriffen aufsuchen können. Er geht direkt an meinem Zelt
vorbei. Man fühlt sich sicher, auch wenn die Bomben ziemlich in der Nähe fallen; viel sicherer fühlt man sich, wie in der Stadt im Keller.
Nachher gibt‘s „extra-Verpflegung“. Wir haben ital. Verpfl.-Lager „ausgeräumt“. Fleisch, Ölsardinen, Kognak, Wein usw. Da fällt wieder was ab für Frauchen. Hätte ich doch nur Gelegenheit, es Dir zuschustern zu können. Du könntest Dich Dir dann mal wieder für ein paaar Tage behelfen. Eben ist der Spies weggefahren zu einem Bekleidungslager. Da gibt es Schuhe (Leider nur „Herren“-Schuhe). Lt. Augenstein, Du kennst ihn ja von Berlin her, ist mit seiner Kompanie wieder im Einsatz. Die letzten Tage in Sizilien hat er ja mit dem Arm in der Binde (Splitter im Oberarm) die letzten Operationen geleitet und nun ist er schon wieder verwundet.
Um mich brauchst Du keine Sorge zu haben. Ich liege wie im tiefsten Frieden 100 km weg von den Kampfhandlungen, erfreue mich der besten Gesundheit eines dicker werdenden Bäuchleins, esse morgens, mittags und abends, außerdem noch zwischendurch die nun durch uns selbst geernteten immer süßer werdenden Weintrauben.
Möchte es Dir so gut gehen wie mir, ich wollte es loben.
Ich küsse Dich innig auf Deinen lieben Mund und bin immer
Dein Hannes.