Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 16. September 1943
16. September 1943
Meine liebe, liebe Elsbeth!
Die letzten Tage war wieder mal strammer Dienst. Ich habe mit meinem Zug eine Brückenstelle befestigt. Es war Arbeit, wie wir sie in Rußland viel gemacht haben – Knüppeldamm. Bis Dunkelwerden schafften wir.
Inzwischen kamen als schönes Ereignis Deine 3 Briefe an. Vielen, herzlichen Dank dafür. Kuchen habe ich noch keinen bekommen. Schicke auch keinen mehr ab. Durch die Flieger geht sowieso viel verloren. Und augenblicklich brauche ich nicht viel Geld, d.h. ich komme wohl in den nächsten Wochen mit meinem Wehrsold aus.
Obst brauche ich keins kaufen. Viele Bauern sind nämlich ins Gebirge gezogen. Die Weingärten stehen verlassen. An unserem Lager ist ein großer Weingarten. Es sind wunderbare Früchte, tiefblau. Die einzelnen Dolden (oder wie man das nennt) sind durchschnittlich 30 cm lang, die einzelnen Trauben so dick wie dicke Kirschen, der Geschmack
ist hervorragend. Jetzt sind sie gerade reif. Mir kommt es vor, als ob sie noch süßer wie Zucker sind.
Was Du von „meiner“ Tochter schreibst, hat mich sehr gefreut. Raffiniert oder nicht, auf jeden Fall zeigt die Sache mit dem Spielzeug, daß sie sich gegen „Stärkere“ zu helfen weiß und daß sie nicht auf den Kopf gefallen ist. Ich muß mir auch zu helfen wissen im Allgemeinen. Aaaaber, sollte die Veranlagung nicht auch auf Dich zurückzuführen sein? Du wußtest ja früher Dir auch zu helfen, wenn wir uns treffen wollten. Nun, sagen wir dann eben: „unsere“ Tochter. Ach, das liebe Stümpchen.
Seit der Auflösung der ital. Armee ist hier tatsächlich so manches in „Auflösung“. In Neapel z. B. plündern die Zivilisten Geschäfte und Lager. Sie ziehen in unheimlichen Haufen von Geschäft zu Geschäft, brechen Türen und eiserne Rolläden auf, machen sogar vor deutschen Lagern nicht Halt. Die Deutschen halten einfach mit MP‘s und Maschinengewehren in die Massen und Viele werden davongetragen, verwundet oder tot. Durch die Auflösung der Armee sind uns natürlich viele Güter zugefallen. Fahrzeuge, Verpflegungs- und Bekleidungsämter und -lager.
Ich habe für meinen Zug Kisten Wein bekommen, Hemden, Röcke, Hosen, Fleisch, Ölsardinen, Konserven. Eben hat man mir wieder 2 Zentner Zucker gebracht. Man Die Leute wissen nicht mehr, wo sie die Sachen, die zu Hause so notwendig gebraucht werden, hintun sollen. Nachher kann ich wieder Jedem 2 Liter Schnaps ausgeben. Jeder hat Schuhe bekommen. Daß ich natürlich auch so Manches habe, was wir, besonders Frauchen gebrauchen kann, versteht sich. Wenn ich mal in Urlaub komme, bin ich bepackt, wie früher in Frankreich. Dann kriegt Dorotheechen auch ihr ganzes Würstchen. Daran denke ich fast täglich. Nur mit Stoffen oder Wäsche für Frauchen ist es nichts, da es sich ja nur um Sachen aus Militärlagern handelt.
Nun küsse ich Dich innig auf Deinen lieben, lieben Mund und hab keine Angst um mich. Bei Salerno haben sie ja den Engländer so ziemlich klein gekriegt. Lt. Kampmann ist in einem Lazarett, oder inzwischen beim Ersatzhaufen. Lt. Augenstein, der in Sizilien leichtverwundet wurde, ist nun bei Salerno schon wieder verwundet worden.