Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 18. September 1943
18. September 1943
Meine liebe, liebe Elsbeth!
Weißt Du, heute vor 6 Jahren – Polterabend! Wie schön war es da noch. Glücklich zusammen in Erwartung des Kommenden. Frohe Gesichter, lachende, schmausende, singende Freunde, glückliche Eltern - - - ein glückliches Brautpaar. Unbeschwert und froh waren die Freunde. Heute stehen sie und ich mit dem Gewehr in der Hand, zu verhindern, daß der grausame Krieg dorthin getragen wird, wo unser Glück ist. Ich sehe im Geiste die damaligen frohen Gesichter der „Jungen“, heute Männer, auf dem Bauch liegend, den Finger am Abzug, bereit zu töten, verbissene Gesichter, voller Strapazen und Entbehrungen. Manche liegen irgendwo in fremdem Land mit Kameraden zusammen begraben. Und kommen diese Freunde einmal für 2 Wochen nach Hause, ist ihr Gesicht heiter und froh wie bei einem Kinde, freuen sich der 14 Tage ohne Gewehr, ohne Strohlager,
ohne Entbehrung. Man merkt ihnen ihr grausames Handwerk nicht an. Wenn man darüber etwas tiefer nachdenkt, muß man sich gewaltsam losreißen, um auf andere Gedanken zu kommen. Will man etwas anderes denken, stören einen die Geräusche des Krieges, der Flieger, der Bomben, der Flak, der Artillerie usw. Sprengungen von Lagern und Fabriken. Dauernd sehen wir Fontänen und Rauchwolken aus diesen Sprengungen aufsteigen. Und trotzdem ist hier kein Kampf.
Eine neue Bequemlichkeit habe ich jetzt. Ein besseres Tropenbett. Es ist aus Aluminium, hat Drahtgeflecht und man liegt sehr schön darin. Außerdem hat es oben und unten (am Kopf- und Fußende) je einen Bügel, wo man das Moskitonetz drüber ziehen kann. Bei meinem letzten Bett konnte man das nicht und man mußte das Netz einfach über den Körper legen. Da das Netz dann aber am Körper anliegt, setzen sich die Mücken einfach auf das Netz und stechen durch die feinen Zwischenräume. Du siehst, ich lebe immer luxuriöser. Dazu haben wir im Augenblick eine Verpflegung, die sich sehen lassen
kann. Mittags etwa ½ Pfund Bratenfleisch, abends etwa 1 Pfund Goulasch. Nur — wie lange wird das anhalten. Es ist Gefrierfleisch aus einem ital. erbeuteten Verpflegungslager. Dazu bekommen wir Büchsenfleisch oder Ölsardinen, oder Büchsenwurst. Die Büchsen gehen aber alle in meine „Sammelkiste“ für „Haushalt Frauchen“. Ich werde einmal viel zu schleppen haben. Käme das nur bald. Wie gerne würde ich mich beladen, wie die hier üblichen Lastesel, wenn ich nur . . . . . usw. Wenn ich denke, daß wir hier mit Fleisch totgefüttert werden und Ihr müßt Euch mit so einer Mittagsportion eine ganze Woche hinschleppen . . . ! Aber wir müssen es in solchen Massen vertilgen, da es sich um Gefrierfleisch handelt, was sonst in Ermangelung von Kühlanlagen sonst kaputt geht. Der Koch hat schon Last, immer die vielen Fliegeneier abzukratzen.
Ist es nicht seltsam. Heute, an unserem Polterabend, kommen 2 Leute und fahren in Sonderurlaub zum Heiraten. Ich habe ihnen die
Hand gedrückt und ihnen gewünscht: „Ich wünsche Euch, daß Ihr so glücklich werdet, wie ich es in meiner Ehe geworden bin.“ Natürlich können sie sich ja da kein Bild von machen.
Nun, liebe Elsbeth, wünsche ich Dir morgen was ganz Schönes. Hoffentlich hast Du meinen Brief dann und das, was ich bei Linz bestellt habe. Leider geht die Post hier aus dem Abschnitt nur immer alle 5 Tage weg und dann auch nur, wie ich vermute, unregelmäßig.
Ich küsse Dich auf Deinen lieben, lieben Mund und halte Dich ganz fest lieb. Ich bin immer
Dein Hannes.
[Foto zum 19. September 1943 - Text Rückseite:]
Meinem allerliebsten Vati schicke ichdieses Bildchen noch zum 19. Sept. Ich wünsche Dir Glück zu diesem Tage, weil Du da die Mutti bekommen hast und dadurch später auch mich.
Wir haben uns alle drei so lieb. Und damit Du ich nie vergißt, schicke ich Dir hier Dein kleines Dorotheechen.