Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 26. September 1943

26. September 1943

Meine liebe, liebe Elsbeth!

Wann habe ich Dir das letzte Mal geschrieben? Wann habe ich das letzte Mal warm gegessen? Wird Dich dieser Brief erreichen?

Aus diesen drei Fragen ersiehst Du, daß mit mir und mit meinem Zug etwas los ist. Ich liege mit meinem Zug an einem Fluß, wo nach und nach eine Menge Brücken kaputtgeworfen werden und die noch stehenden Brücken täglich mehrmals angegriffen werden durch Flieger. Für den Fall, daß nun die letzte Brücke auch noch denselben Weg geht, habe ich drei Übergangsstellen einzurichten und zu betreuen. Meine Floßsackfähre, eine ital. Pontonfähre und eine Furt. Von morgens bis Dunkelwerden fahre ich mit dem Krad die Übersetzstellen ab, die Zufahrtswege, veranlasse da Ausbesserungsarbeiten und dort Anlage von neuen Wegen, habe für die Beschilderung zu sorgen, besorge dafür zuerst wieder Farbe usw. Das schwie-

rigste Kapitel ist die Beschaffung von ital. Arbeitern. Mit der Pistole muß man sie zur Arbeit heranholen.

Heute sind an einer Fährstelle wieder 12 stiften gegangen, einer verunglückt, 2 Malaria, einer durch Bombensplitter verletzt. Heute abend erfuhr ich dann zu allem Unglück, daß die 12 stiften gegangen sind. Ich direkt wieder zu dem Ort. Diese Nacht machen wir Razzia durch diesen Ort und fangen 30 Neue ein. Drei von denen, die heute stiften gegangen sind werde ich dann morgen als abschreckendes Beispiel erschießen lassen. Hoffentlich kriegen wir nur genügend wieder zusammen, denn die arbeitsfähigen Männer treiben sich aus Angst hauptsächlich in den Feldern und im Gebirge herum und halten sich versteckt.

Ich liege am Fluß unter ein paar dünnen Bäumen und habe mich ungefähr so eingerichtet, wie Du auf beiliegendem „Lageplan“ ersiehst.

Wenn ich eben gesagt habe von wegen warme Verpflegung, brauchst Du nicht zu denken, daß

ich hungere. Ich meine halt, die letzte warme Verpflegung von der Einheit, die mich verpflegt und meine Leute; die Einheit liegt etwa 2 Stunden mit dem LKW nach hinten. Wenn ich auch immer nur auf einen Sprung hierhin komme, hat man mir aber immer schon ein halbes Huhn, od. ein Stück Ente oder Gans auf meinen Tisch gestellt. Es geht jetzt hier wie damals in Frankreich. Geld brauche ich im Augenblick deshalb keins. Zigaretten habe ich etwa noch 900 Stück. Heute kam ich schon um ½ 8 nach „Hause“. Es war sogar noch hell. Ein ordentliches Stück Ente, lecker gebraten, kalt, hatte ich ohne Brot schnell intus. Auf dem Spirituskocher wärmte mir mein neuer Putzer in einer organisierten Kaffeekanne eine schöne Hühnerbrühe auf. Dann nahm ich nach dieser Vorspeise ein ordentliches Stück Speck in die Pfanne (auch organisiert die Pfanne) dazu einen dicken Zwiebel und 5 Eier. Dazu aß ich eine halbe Scheibe Kommisbrot. Die andere Hälfte aß ich zu einer Büchse Ölsardinen. Nachher genehmige ich mir noch ein Gläschen Masalla, Chianti oder einen Likör oder Schnaps.

An Licht habe ich eine Kerze, die allerdings dauernd vom Wind ausgeweht wird. Es fängt an zu regnen. Mein heute errichtetes Bretterdach ist nicht ganz dicht.

Ich küsse Dich innig auf Deinen lieben Mund und bin immer
Dein Hannes

Hab keine Angst um mich, wir liegen weit hinter der augenblicklichen Front.