Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 28. September 1943
28. September 1943
Meine liebe, liebe Elsbeth!
Mein Brief von vor 3 Tagen schloß damit, daß es anfing, zu regnen. Kurz darnach hörte es auf, um des nachts wieder anzufangen. Mein Bretterdach hatte nicht viel genützt. Es ist ein ulkiges Gefühl, wenn man im Bett liegt und auf einmal ist man von oben bis unten naß. Nun, ich hatte mir die Decken bis über den Kopf gezogen und es trotzdem bis morgens ausgehalten. Dann habe ich das nebenstehende Haus räumen lassen, ausfegen und putzen lassen und bin ins „gute Zimmer“ eingezogen. Das beste, was dran ist, ist der Fliesenboden. Die Decke kommt schon so langsam herunter und an einer Stelle regnet es mächtig durch.
Also, mit der Beendigung des letzten Briefes begann die Regenzeit. Der Regen gießt wie in Sturzbächen vom Himmel. Bei uns nennt man das schon Wolkenbruch. Dabei gewittert es unaufhörlich. Will man mal eine Pause
benutzen, um mit dem Krad zur nächsten Fährstelle zu fahren, kannst Du darauf gehen, daß nach einem km ein neuer Bach von oben kommt. Man ist dann im Augenblick bis auf die Haut naß.
Übrigens, bei der Razzia haben wir einen nur erwischt, der uns stiften gegangen war. Wir haben Ich habe ihn des morgens erschießen lassen. Damit keine Arbeit mit dem Grabschaufeln war, haben wir ihn in den seichten Fluß gestellt. Als er sah, daß es Ernst wurde, tauchte er unter. Aber er mußte ja doch den Kopf zum Luftschöpfen herausstecken und dann wars um ihn geschehen. Er trieb dann den Fluß hinunter. Die Anderen arbeiten jetzt flotter. Abends ist man bin ich dauernd belagert. Jeder möchte dann mal bis zum anderen Morgen Urlaub haben. „Mio Casa, mio Casa Signore Marschallo“! So schwirrt es um einen her. Dann suche ich 3 oder 4 aus, die für einen Abend und die Nacht nach Hause dürfen. Zu diesen Glücklichen zu zählen ist nun das Bestreben jedes Einzelnen. Sie kommen nun mit den besten Gründen. „Signore Marschallo, mia donna malatto, set Bambino“ usw. (Herr Feldwebel, meine Frau krank, 7 Kinder“, der andere hat einen blinden
Bruder, wieder welche zeigen mir ihren Hodenbruch, Leistenbruch, Verwundungen vom Weltkrieg. 14jährige Jungen weinen. Es ist also abends immer ein dolles Spektakel los.
Ich selbst habe, höre und staune, ein “Dienstmädchen“. Sie wäscht meine Wäsche, hält die Stube sauber, hilft auch in der Küche für die Italiener. Als sie hörte, daß ich Katholik bin, schenkte sie mir gestern ein Kreuzchen an einem silbernen oder aus Silber sein sollenden Kettchen. Ich mußte es direkt um den Hals legen.
Heute hat der Fährenbetrieb eingesetzt. Eben kommt von der Brüko ein LKW zurück und bringt mir endlich noch mal Post von Dir. Es ist Dein Brief vom 17. September.
Liebe Elsbeth, Du brauchst Dir wirklich keine Sorgen zu machen. Ich liege mit meinem Zug hinter einem Fluß: Viel mehr kann ich Dir doch nicht sagen. Wir liegen weit von der augenblicklichen HKL weg. Wie es mit der augenblicklichen Lage hier in Ita ist, kann ich Dir schon sagen. Die Ittas werden so quasi als Feinde behandelt.
Männer werden zu Arbeiten herangezogen, Vieh requiriert, Autos, Radioapparate u. Lager beschlagnahmt usw. Den [Die] Faschisten, die hier in dieser Gegend in der Minderheit sind, machen gute Mine zum bösen Spiel, die anderen, Königstreuen, müssen sich eben schicken. Wehren tun sie sich nicht. Nur wandern die Meisten weg in die Berge, um nicht arbeiten zu müssen. Braucht man Leute, muß man sie jetzt schon auf der Straße auflesen und mit „Nachdruck“ (Waffe) zum „Mitgehen“ auffordern. Komme ich durch einen Ort hier in der Nähe mit dem Krad, sehe ich von weitem, wie die arbeitsfähigen Männer, es sind ja nicht mehr viel, Reißaus nehmen. Der Itacker ist durchweg verweichlicht und feige. Man hätte m.E. mit ihnen trotzdem etwas als Soldat anfangen können, wenn die Offiziere etwas getaugt hätten. Hatte einer Geld, konnte er sich von der Militärpflicht drücken, wenn er irgendeinem Maßgebenden 1000 od. mehr Lire in die Hand drückte. Oder aber, hatte er meinetwegen 5000 Lire, konnte er sofort Offizier werden. Du kannst Dir nun denken, daß dies die
Reichen ausnutzten. Sie hatten damit mit der Not des ital. Soldaten (Mangel an Kleidung, Schuhzeug, Verpflegung und Unterkunft) nichts mehr zu tun. Hatten besondere Verpflegung (bei Ita gab’s Küche für Mannsch., Uffz., Offz. getrennt), ihre Bedienung, Privatquartiere usw. Dies ist aber auch m. E. der Hauptgrund dafür, daß der Ittacker sich nicht so bewährt hat. Es fehlte an verantwortungsbewußten, soldatischen Führern. Denn so ein gekaufter Offizier sucht ja schließlich seine Annehmlichkeit, dafür hat er ja bezahlt. Und er sucht nicht die Stelle wo’s evtl. einmal brenzlig werden kann. Die Einstellung des Kampfes von ital. Seite war demnach eine einfache Schlußfolgerung. Die Soldaten wollten nicht, das Volk wollte nicht. Es ist eben ein Volk, das auf die Dauer nicht dieses machen kann, da ihm der moralische Rückhalt fehlt. Wenn man schon nur sieht, wie der Italiener in seinem landschaftlich herrlichen Land haust. Dreck, Dreck und nochmals Dreck. Rußland ist nicht schlimmer. Nur, daß in Rußland Städte und Dörfer einen trostlosen, eintönigen Eindruck machen, während sich hier der Dreck in malerischer Gegend, in malerischen
Städten und Dörfern, in mit Genuß anzusehenden winkligen und alten, stilvollen Häusern anhäuft. Gehe einmal durch eine Straße Neapels, die nicht gerade Hauptstraße ist, schaue einmal in einem Dorf, wo Menschen und Schweine in einem Raum hausen, und Dein Magen wird das was drin ist, auf dem umgekehrten Weg von sich geben. Siehe Dir aber Neapel einmal vom Vesuv aus an, das ganze Stadtbild im Golf, Du bist entzückt über das herrliche Bild. Fahre einmal durch die Abruzzen, durch Apulien, durch Kampanien und Kalabrien, schaue Dir die Bergnester, die Burgen, die Buchten, die Kirchen usw. an, Du wirst Dich an dem Anblick nicht satt sehen können, schaue aber nicht weiter ins Einzelne. Nehme vor allen Dingen ein Zelt mit, damit Du nicht gezwungen bist, in einem Haus zu nächtigen. Gewiß, gibt es auch Ausnahmen. Aber sie verschwinden ganz vor dem allgemeinen Eindruck. Dazu der Charakter: Krämergeist.
Über das Ganze könnte ich schreiben: „So sah ich Italien“! Ich glaube, es gibt ein solches Buch, das aber nur die schönen Bilder wiedergibt und nicht
den Schmutz und das Elend.
Habe ich nun in etwa Deine Fragen sinngemäß beantwortet. „Ich hoffe von ja“.
Mir selbst ist es seit gestern etwas unpäßlich. Etwas Schwindelgefühl, Durchfall wie Wasser, Magen usw., etwas Fieber. Ich rauche schon feste und trinke von dem Rotwein, den mir einer von den guten Ita-Arbeitern mitgebracht hat, damit es nicht Malaria werden soll. Krank werden will, darf und werde ich nicht. Das spüre ich ganz deutlich. In 2 – 3 Tagen ist es wieder vorbei. Es ist nicht nur was gesagt. Du kannst Dich drauf verlassen. Es ist das Gebiet hier, ausgesprochenes Malariagebiet, dem Ittacker viel verfallen. Aber nach 2 – 3 Tagen bin ich wieder der Alte. Ich mache ja auch jetzt meinen Dienst, der mich von morgens bis abends auf den Beinen hält.
Ich schreibe Dir beim altertümlichen Licht einer Öllampe. Es ist ein Leuchter aus Keramik von sehr schöner Form. In Ermangelung von Brennöl habe ich Olivenöl hineingekippt, anstatt eines Dochtes liegt ein Läppchen im Öl. Es brennt wie Kerzenlicht.
Und nun, liebe Elsbeth, will ich diesen langen Brief beschließen, aber nicht, ehe ich Dich vorher einmal ganz fest liebgehalten habe. Ich drücke Dich an mich und küsse Dich auf Deinen lieben, lieben Mund.
Ich bin immer
Dein Hannes.
Stell‘ Dir mal so was Spassiges vor. Wie ich gerade den Umschlag, noch dazu in so „schöner“ Schrift schreibe, stelle ich fest daß ich meine Feldpost-No. nicht mehr weiß. Ich mußte tatsächlich alte Briefumschläge nachsehen. Aber, es kommt noch schöner. Wie ich die Adresse schreibe, weiß ich nicht mehr auf unsere Haus-No. zu kommen. Ich mußte im Soldbuch nachsehen, „wo ich wohne“. Nochmals einen festen Kuß, aber dann gehts mit mir rin in die Haia, nachdem ich vorher nochmal meinen Magen entleert habe.
[Die markierten Buchstaben: Volturno]