Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 4. Oktober 1943
4. Oktober 1943
Meine liebe, liebe Elsbeth!
Und nun wieder bei 50 239. Kennst Du diese No. noch? Ich bin froh, daß ich wieder dabei bin, bei der 1. Kompanie. Lt. Kampmann ist von seinen Verwundungen wieder genesen und führt die Kompanie.
Da die Kompanie starke Ausfälle gehabt hat, hat der Kommandeur befohlen, daß die Sturm- und M-Boote nur noch mit je einem Fahrer ausgerüstet werden sollen und hat mich mit den übrigen Leuten (7 Mann) vom Fleck weg zur 1. Kompanie versetzt. Von Kampmann wurde ich so freudig und herzlich begrüßt, daß ich mich direkt wohl fühlte. Als ich ankam, waren noch andere bei ihm, weshalb ich mit meiner vorschriftsmäßigen Meldung in Grundstellung begann: „Feldwebel Ließem meldet sich mit Wirkung vom 2. 10. von der Brüko zur 1. Kompanie versetzt.“ Ich kam aber damit nicht zu Ende. Er sagte: „Hannes, quatsch nicht so viel“ und schüttelte mir die Hand, schlug mir auf die Schulter und lachte mit seinem
ganzen Jungengesicht. Ich mache hier Kompanietruppführer. Ich weiß nun nicht, ob Du weißt, was das ist. Das ist der Mann in der Kompanie, der die technische und taktische Angelegenheit des Kompanie-Einsatzes bearbeitet. Er führt auch die Erkundungen (Flußerkundung, Sperr-, Spreng-, Minen-Pläne) Gefechtspläne durch aus, sammelt die Ergebnisse der einzelnen Zugtrupps und stellt sie zusammen.
Drei Nächte habe ich nicht mehr geschlafen. Vor drei Tagen mußte ich des nachts eine Fähre den Strom herunterbringen. Der Gefr. brachte es nicht fertig, da mußte ich heraus. Es war aber auch ein Stück Arbeit. Die Hälfte der Nacht haben die Leute im Wasser gestanden, haben Wehre aufgerissen, Holzstauungen beseitigt und flache Stellen überwunden. Dazu ging ein wolkenbruchartiger Regen herunter. Die ital. Arbeiter mußte ich mit der Pistole in der Hand zwingen, ins Wasser zu gehen. Als ich ankam, teilte man mir mit: sofort zum Batl. u. von da zur 1. Komp. Am selben Nachmittag haben wir dann noch eine Brückensprengung vorgenommen. An einen Pfeiler, der 4 m dick und 13 m breit war, haben wir über 36 Zentner Sprengmittel drangepackt und auf einmal in die Luft gejagt. Na, den Knall hättest Du mal hören können. Habe ich Dir nicht einmal von einer
wunderbaren alten Römerbrücke an der Via Appia geschrieben. Ein kulturhistorisches Dokument von seltener Schönheit, wunderbare romanische Baukunst. Auch diese Brücke haben wir gänzlich, aber auch ganz und gar, sogar noch die Auflage an den Ufern vernichtet. Es liegt nur noch ein trostloser Steinhaufen im Fluß, der sich daran staut. Ich hatte mich in den Anblick gerade dieser Brücke, der schönsten Brücke, die ich jemals sah, so vernarrt, daß es mir doch einen Stich ins Herz gab, als in einer einzigen Sekunde alles zusammenfiel. Ich hatte mich schon damals geärgert, als sie durch Bomben beschädigt wurde.
Des abends spät mußte ich wieder weg mit einem LKW, die anderen 7 Mann holen. Morgens
um 5 Uhr kamen wir hier an. Nachher fuhr ich mit Kampmann sämtliche Wege in unserem Abschnitt ab zur Erkundung. (Meine erste Tätigkeit in der Kompanie). Sämtliche Brücken, Durchlässe, Übergänge, größeren Gebäude, Materiallager usw. werden vernichtet. In den Ortschaften sprengen wir als Sperre in allen Straßen einige Häuser so, daß sie in die Straße hineinfallen müssen. 90 Sprengstellen (mit insgesamt 22 500 kg (450 Zentner) Sprengmittel zu sprengen). Um 17 Uhr kamen wir zurück. Dann habe ich von 17 bis des morgens um 5 Uhr durchgesessen und die Planpausen angelegt, Berechnungen
durchgeführt und 4 Seiten Erläuterungen geschrieben. Es ist eine Tätigkeit, die einen befriedigt. In Anbetracht der 3 letzten strammen Tage habe ich mir heute mal einen ruhigen Tag gemacht. Eben habe ich mir etwas Schweineleber mit Bratkartoffeln braten lassen. (Wir schlachten fast jeden Tag. Fett lassen wir dann aus.) Dazu habe ich abwechselnd einen Schnaps getrunken, ein Glas Rotwein und jetzt steht die gefüllte Kanne mit Zitronenwasser da. Zitronen wachsen 10 Schritte vor mir, Zucker haben wir eben wieder 6 Zentner erbeutet. Und nun sitzt einer und reibt Kartoffeln. Heute abend gibts Reibekuchen.
Und nun küsse ich Dich innig auf Deinen lieben, lieben Mund und bin immer
Dein Hannes
L 50 239 Lg.Pa. München II