Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 7. Oktober 1943
7. Oktober 1943
Meine liebe, liebe Elsbeth!
Gestern abend kamen von der Brüko eine Menge Briefe von Dir an. Hab‘ herzlichen Dank dafür. Etwas voraus. Schicke mir keine Päckchen. Erstens ist es fraglich, ob sie überhaupt ankommen und zweitens haben wir alles im Überfluß hier.
Haben wir Hunger und die Verpflegung kann nicht rechtzeitig kommen, machen wir uns ein Huhn, eine Gans oder sonstwas zurecht. Jeden Tag schlachtet die Küche ein Schwein oder zwei, oder ein Rind. So haben wir Fleisch, Schmalz, und alles was der Landser braucht. Aber auch andere Sachen nehmen wir, was wir brauchen, Löffel, Gabel, Messer, Gläser, Tassen, Kochtöpfe, Pfannen, Wein usw. usw. Tinte habe ich jetzt auch. Geld brauchen wir keinen einzigen Pfennig mehr.
Tante Gretchen ist ja wirklich ein prachtvoller Mensch. Bin ich froh, daß Du eine solche „Tante“ hast. Kann ich doch jetzt etwas beruhigt sein. Tante Gretchen, Tante Lenchen sind schon 2 wichtige Faktoren. Nun kommt noch das Päckchen von Frau Braun dazu. Sowas lappert sich zusammen. Könnte ich nun nach Hause, brauchtest Du für die nächste Zeit überhaupt keine Fleischsorgen zu
haben. Aaaaber . . . wann. Und hoffentlich ist das Gepäck nicht schon dann von irgendeiner Granate in Fetzen gegangen.
Daß meine „Hochzeitsbriefe“ an Dich und Dorotheechen so pünktlich auf den Tag ankamen, freut mich. Wenn man extra etwas für einen bestimmten Tag schreibt, hat man ja auch Freude, wenn es nicht früher oder später ankommt.
Zu Deiner Gratulation zum EK herzlichen Dank. Auch ich bin im Stillen froh, daß ich es habe. Kam man nach Hause, sah man ordengeschmückte Schreibstubenbullen, Flaksoldaten, die noch nicht aus Deutschland herausgekommen waren usw. Ich, als Feldwebel lief noch immer mit dem billigen K.V.K. herum, das ich mir sauer genug verdient hatte. Hatte in Rußland auch nicht gerade die angenehmsten Stunden verbracht und wurde verwundet.
In der Zeitung hatte ich den General scherzhalber durchgestrichen, da in dem allerletzten Boot ich am Steuer stand. In diesem Boot und in den vorausgefahrenen 5 anderen Booten war kein General. Er muß schon des nachts mit der letzten Fähre oder noch vorher übergesetzt sein.
Weshalb soll ich böse sein, wenn Du Dorotheechen aus meiner Hose ein Mäntelchen gemacht hast.
Du weißt doch, was Du tust, ist mir immer recht.
Du fragst: „Ob ich wohl Weihnachten bei Dir bin“. Liebe Elsbeth! Ich möchte schon gern, aber denke nicht daran. Einen Weihnachten wirst Du mal allein feiern müssen. Aber, laß den Kopf nicht hängen, denke an unser Glück, daß uns sowieso bleibt und schütte Weihnachten Deine Liebe mal ganz über Dorotheechen aus.
Daß Frau Linz meine Bitte mit den Blumen erfüllt hat, freut mich. Sage ihr gelegentlich, daß ich danken lasse. Ich kann selbst nicht soviel schreiben, da es mir an Zeit gebricht. Aber, Du wirst es wohl ausrichten.
Nun etwas von meiner augenblicklichen Lage. Vorgestern hat der Amerikaner den Fluß erreicht, an dem wir lagen. Wir haben noch bis abends an der letzten Brücke gelegen, um die letzten deutschen Fahrzeuge und Panzer herüberzulassen und dann zu sprengen. Seit des Nachmittgas hörten wir schon am anderen Ufer die feindl. Panzer anrollen und den Lärm. Panzergranaten bestrichen unseren Ort, konnten uns aber nichts anhaben. Das Absetzen vom Feind geht in mustergültiger Ordnung vor sich. Die Deutschen haben nun das diesseitige, der Feind das jenseitige Ufer besetzt und „tauschen sich gegenseitig Grüße aus“.
Unser Komp.-Gefechtsstand liegt etwas zurück. Den ganzen Tag donnert Freund und Feind mit Artillerie hin- und herüber. Doll hört es sich an, wenn unsere Do-Werfer ihre unheimlichen Geschosse losorgeln. Das heult unheimlich. Unsere Leute arbeiten an den Sperren. Alle Straßen, Brücke, Durchlässe u. sonst. markanten Punkte werden zum Sprengen vorbereitet.
Um mich habe aber keine Angst. Es ist alles halb so schlimm, wie es sich vielleicht von dort aus ansehen mag. Ihr stellt es Euch sicher schlimm vor. Aber, ich bitte Dich wirklich, hab‘ um mich keine Sorge. Ich weiß mir schon zu helfen. Das Unangenehmste, unangenehmer als die Artillerie-Einschläge sind in diesem Augenblick . . . . . die Fliegen, die infolge des Regenwetters alle ins Haus flüchten. Kampmann ist heute morgen allein zu den Zügen usw. gefahren, sodaß ich mal einen Augenblick Ruhe habe und Dir diesen Brief schreiben kann. Ich selbst bin guter Hoffnung und guter Dinge – also, bitte, bitte, keine unnötige Angst um mich.
Grüße bitte Deine Eltern, meinen Vater und Anna. Ich komme so wenig zum Schreiben.
Ich küsse Dich innig und bin immer
Dein Hannes.