Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 27. November 1943
27. November 1943
Meine liebe, liebe Elsbeth!
Eben bekomme ich Deinen Brief vom 20. November. Du
Inzwischen ist es der 29. November geworden. Es kam mal wieder was dazwischen. Es sind, ein Briefreichtum, auch noch Deine Briefe vom 11., 13., 15. u. 23. 11. angekommen. Herrlich! und vielen, vielen Dank für die lieben Briefe. Ich habe „geschwelgt“!
Die ersten 3 Briefe sind ja ein einziges Lob auf Mattes. Ich komme mir bald ganz „arm“ vor, daß ich nicht „gefangen“ war. Vielleicht würde dann auch ein Loblied auf mich gesungen, ich von der Partei eingeladen usw. usw. Aber, Scherz beiseite. Ich freue mich ja selbst so sehr, daß er wieder da ist und daß er ein so ganz prächtiger Kerl geworden ist. Nimm das zuerst Geschriebene für Scherz. Du weißt, ich bin nicht eifersüchtig und weiß, was ich an meinem Frauchen habe, daß Frauchens Herz zu allererst ja für mich schlägt.
Die Überraschungen von Dorotheechen waren ja allerhand. Wenn sie sie ohne Hilfe gemacht hat, ist das schon viel. Man konnte direkt erkennen, daß dies ein Baum, dies Blumen usw. sein sollten. Du mußt ihr sagen, daß ich mich mächtig gefreut habe und riesig stolz auf sie bin.
Auch Dein Brief vom 20. November, in dem Du mir Deinen Namenstag schilderst, war bei den Briefen. Ich habe ein etwas böses Gewissen, obwohl es Unsinn ist. Zwischen all den Briefen und Geschenken war an dem Tag nun so gar nichts von mir. Das tut mir leid, denn ich weiß, daß Du doch sicher darauf gewartet hast. Ich freue mich aber, daß wenigstens so viele Andere an dem Tage eine Aufmerksamkeit für Dich hatten.
Die 100 Mark für den Hl. Antonius kannst Du wahrscheinlich
sparen. Ich schrieb ja schon, was mit dem Koffer passiert ist. Nun habe ich auch nichts mehr hier, was ich Dir einmal zukommen lassen könnte. Sollte ich einmal kommen, komme ich mit leeren Händen. Höchstens Apfelsinen kann ich Dir mitbringen. Aaaber, aber, wann? Hier in dem Bergnest, wohnen noch Zivilisten. Noch nicht mal kaufen kann man was. Die Leute haben selbst nichts. Ich wollte Dir doch 3 ein kg-Päckchen Apfelsinen schicken. Es ist zu dumm, daß man’s schicken muß. Aber die Sache scheitert an den . . . Päckchen. Kein Karton oder Pappdeckel ist in der Kompanie, im Ort oder sonstwo aufzutreiben. Ich schäme mich richtig, es sagen zu müssen. Wenn Du die Marken bekommen hast, schicke mir doch Kartons. Ich habe ja alles, was ich zum Leben brauche, aber Euch könnte ich doch eine Freude machen. Ich lasse natürlich in meinen Bemühungen nicht nach, noch etwas Karton zu finden.
In Deinem letzten Brief schreibst Du von meinem „Gesundheitszustand“! Ich mußte etwas lachen. Das hörte sich an, als ob man von einem Schwerkranken spricht. Wenn Du mich hier so sehen könntest, im Vollbesitz meiner „körperlichen und geistigen Kräfte“, würdest Du Dir ein richtiges Bild machen können. Also, mir fehlt nichts, aber auch rein garnichts, noch nicht einmal Durchfall habe ich. Nur ein Hautjucken, das aber nur unangenehm ist und sonst nichts. Kampmann führt die Kompanie schon wieder eine Woche. Es geht ihm besser. Das Knie heilt, wenn auch langsam, aber es heilt. Heilen tun hier ja kaum Wunden. Hier eitert alles monatelang. Hat man einen Flohstich aufgekratzt, hast Du ein halbes Jahr lang mit diesem verfl. Eiter Schererei. Besonders die sogenannten Tropengeschwüre sind eklig. Wir haben Leute in der Kompanie, die die schon so lange haben, wie sie in Italien sind. Ich habe allerdings noch nichts damit zu tun gehabt — Gott sei Dank! Also, um meine Gesundheit mach Dir keine Sorge. Besonders aber auch keine Sorge um mich selbst. Ich versichere Dir ganz ehrlich,
daß wir jetzt nicht im Kampf stecken, sondern lediglich eine Sperraufgabe – diese allerdings in riesigem Ausmaße – zu erfüllen haben. Also keine Sorge um mich.
Das mit Lotte ist ja schlimm. Wenn etwas mit ihrem Mann los ist, bringt sie es tatsächlich fertig und tut sich was an. Ich kenne es ja leider von früher. Sie ist ja so tragisch veranlagt. Es wäre aber auch zu schlimm. Wenn Du etwas dran tun kannst, tue es. Ich fühle mich eigentlich immer noch etwas verpflichtet „für sie – durch Dich – zu sorgen“!
Gestern war ein seltsamer Abend. Ich komme, wie üblich, mit dem Chef abends „heim“ von den Einsatzstellen. Wir machen die Türe auf und ein in diesem Krieg seltener Anblick bietet sich uns. Die Leute vom Komp.-Gef.-Stand (Funker, Melder, Techniker), also mein Haufen, sitzen mit einem älteren ital. Ehepaar und deren 3 Töchtern (eine noch hübscher als die andere), zusammen um einen großen Tisch. Unsere erstaunten Augen kannst Du Dir vorstellen. Der Sani-Uffz., ganz verlegen, erklärte, daß die Zivilisten gekommen seien, um dem Chef einen Besuch zu machen. Es handelt sich um eine bombengeschädigte Faschistenfamilie aus Gaeta, die nach hier geflüchtet sind. Ich nehme an, daß die Töchter gedrängt haben, uns zu besuchen. Nun ist es in Italien ja üblich, daß die Eltern mit Argusaugen über ihre Töchter wachen und überall, wo die Töchter hin wollen, mitgehn.
Heute abend sind wir nach „nebenan“ (sie wohnen im Haus neben uns) eingeladen. Chef hat abgeschlagen.
Übrigens will Kampmann im nächsten Urlaub heiraten.
Ich soll Dich von ihm grüßen.
Jetzt mal so ein Tag, wie ich ihn verlebe. Ich denke, Du interessierst Dich doch dafür.
Also, nach dem Aufstehen morgens waschen, rasieren, Kaffeetrinken. K. ißt wenig. Ich habe meist noch den letzten Bissen im Mund, dann fragt er schon: „Bist Du fertig.“ Kauend schnalle ich um, schnappe meine
Meldetasche, Kartenbrett, den Sperrplan und stiefele ihm die Treppe runter nach. Wir klettern in unseren PKW. Zur Zeit ist der Kfz 15 (ein Wehrmachts-Kübelwagen) kaputt. Ebenfalls der Funkwagen. Unser Fahrzeug ist daher z. Zt. ein alter Beute-PKW (Fiat). Die Bremse blockiert. Der Auspuff ist abgerissen. Die Räder spuren nicht so recht und schleifen an den eingedrückten Kotflügeln, da die Reifen etwas zu groß sind. Aaaber, fährt wie der Deufel. Ka. fährt, ich sitze daneben, der Fahrer hinten. Jetzt geht’s zuerst zum I-Trupp (Instandsetzungstrupp für Kfz.). Dann geht’s zu den einzelnen Einsatzstellen. Unterwegs sitze ich mit dem Sperrplan auf den Knien, dem Stift in der Hand. Zeichne Sperren, die ich unterwegs sehe (d. h.: Sperrmöglichkeiten), ein. Schauen rechts und links. Da sieht man mal Munition, da Draht, da Bretter, da Stacheldraht, da dies und da das. Alles merken. Jetzt kommen wir zur ersten Stelle. Der Zugführer meldet und dann geht’s los: Ich brauche dies, ich brauche das. – Dann: Das kannst Du da kriegen, liegt da und dort, dort kannst Du Munition für Sprengungen holen. Das und das muß angefordert werden. Einsätze, neue Minensperren, Sprengungen usw. werden besprochen u. eingewiesen. Dann treffen wir den Führer der Grenadiere, der wieder diesen od. jenen Wunsch hat: „Hast Du aufgeschrieben und eingezeichnet?“ fragt mich Kampmann am Schluß. Frage ist aber unnötig, da ich meinen Kram immer auf dem Laufenden halte.
Dann besehen wir uns mal die Arbeiten. Da und dort werden noch Anweisungen gegeben und fort geht’s zur nächsten Stelle. Dort wieder dasselbe. Manchmal rammeln wir auch schon mal ein Fahrzeug oder eine Mauer an; dann ist dies ein unliebsamer Flickaufenthalt. Bei Braun ist meinetwegen ein Staudamm, der das Wasser so staut, damit das ganze Gelände versumpft, durchgebrochen. Fieberhaft wird der Damm erneuert. Braun besorgt sich Kähne, füllt sie mit Steinen und versenkt sie am Stau, damit die Sache schneller geht. Jetzt kommt wieder irgendein Offz. gelaufen und brüllt los, wer ihm seine Kähne holt. Vermitteln. Nun sehen wir, daß wir fehlende Sachen erkunden. Und so gibt es Tausende von Sachen, die man erledigen, beantragen, notieren, veran-
lassen muß. Essen tun wir einmal um 11, einmal um 14, dann um 16, 17, 18, 19 Uhr, je nachdem, wie „es die Lage erlaubt“. Manchmal scheint die Sonne, dann lockt das Meer so recht zum Baden, aber … keine Zeit — keine Zeit. Keine Zeit.
Vorwärts, dahin, dorthin bei Braun drängt es, Teuchel hat keine Minen, diese keinen Draht, die Minen auf Spanndraht zu verlegen. Dort ist ein Malheur passiert, und immer brummt der wackere Fiat mit lautem Getöse (da kein Auspuff u. Schalldämpfer dran ist). Nun kommt man im Sonnenschein oder Regen nach Hause. Schnell, aber ganz schnell die Abendmeldung über den Tageseinsatz für das Batl. geschrieben. Ein Melder wird zum Batl. (etwa 30 km zurück) geschickt, aber fast ein über den anderen Tag fahren wir selber, da dringende Sachen zu erledigen sind. Zwischendurch werden Planpausen für neue Sperren angefertigt. Zwischendurch, oder abends, od. nachts, umfangreiche Minenpläne, bei denen es auf große Genauigkeit ankommt, gezeichnet. Nach den vorhandenen Unterlagen zeichne ich die ersten Exemplare Minenkarten, Lagepläne, Sperrbeschreibung und der Techniker macht die 5 weiteren Duplikate. Zwischendurch – leider zwischendurch – komme ich auch einmal zu einem Brief an Frauchen. Manchmal – wie heute – habe ich Glück. Ich war heute schon um 6 Uhr fertig. Eine Seltenheit. Dann kann ich einen langen Brief an Frauchen schreiben und nachher ist sogar nochmal Zeit zu einem Skat. Das sind dann so Lichtblicke. Du wirst vielleicht denken: Ach, Hannes hat noch Zeit zum Skat spielen. Aber, Du glaubst nicht, wie wohl das tut, einmal zu sagen: fertig für heute. Sogar geschrieben und nun mal eine Beschäftigung, wo man an keinen Sperrplan, keine Sprengmittel, keinen Stacheldraht, keine Minen, keine Durchlässe, keine Brücken, keine . . ach an was nicht alles, zu denken braucht. Die 2 oder 3 Stunden einmal ganz sich selbst. Lesen kann man nicht gut, da das Innere nicht ruhig genug ist. Also Skat.
Abends Oft kommt aber auch dann noch ein Funkspruch: „Die 1. Komp. hat sofort . . . . .“!
Schlafen tue ich mit Kampmann in den beiden „Ehebetten“. Im Raum schlafen außerdem ein Fahrer, mein Martin und mein Techniker.
So vergehen nun die Tage in angestrengter Arbeit. Aber es ist eine Arbeit, die Spaß macht. Alles kaputt machen, . . . . macht Freude!
Außerdem bekommen wir die nächsten Tage ein … Sturmboot zur Überwachung eines riesigen Sees. Da kann ich mich mal wieder so richtig austoben, Kurven drehen, jagen. Alles ist ja nur noch Tempo, Tempo, d. h.: auch hier, wenn ich Zeit kriege. Aber das ist ja Dienst.
Und nun liebe, liebe gute Elsbeth, ich hoffe, daß Du gegen die Länge des Briefes nichts einzuwenden hast. Ich küsse Dich viele, viele Male auf Deinen lieben, guten Mund und bin immer Dein Hannes.
Eben wieder ein Spruch. Mit Skatspielen Essig. Aber froh bin ich, daß der Brief bis zum Ende geführt ist: Nochmals viele, viele Küsse,
Dein Hannes