Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 7. Dezember 1943
7. Dezember 1943
Meine liebe Elsbeth!
Immer noch habe ich keine Post von Dir. Aber, die Post kommt auch sehr unregelmäßig.
Unsere Putzer haben einen Adventskranz zusammengebastelt. Tannen haben wir natürlich nicht. Sie haben dazu Zedernzweige genommen. Als er hing, fragte ich mich, ist es denn schon wieder mal so weit? Anstatt des Drahtes, der den stabilen Kreis bildet haben sie . . . Na, das muß ich erst erklären, was sie dazu genommen haben.
Vor einigen Tagen hatten wir einen Wasserturm umzulegen. Das Ding hatte unverschämt dicke Mauern, 2,80 m dick. Es kamen 11 Zentner Sprengmittel hinein. Braun zündete. Wir anderen waren schon etwa 400 m weit weg in Deckung. Ich habe Dir doch schon mal von unserem treuen Fahrzeug, dem Fiat, geschrieben. Der Chef läßt das Auto stehen, damit Braun nach der Zündung wegfahren konnte. Er hatte nämlich nur 1 m Zeitzündschnur (also 100 Sekunden Verzögerung) dran. Braun zündet, springt ins Fahrzeug, das Fahrzeug zieht an, bleibt nach 10 m stehen. Braun und der Fahrer springen raus und kommen angerannt. Sie rennen um ihr Leben. Wir stehen hinten und können uns nicht halten vor Lachen. Knapp ist Braun da, gibt’s einen gewaltigen Krach, Steinbrocken fliegen durch die Luft. Wo der Wasserturm gestanden hat, ist nur noch ein riesiger Trichter und wo das Fahrzeug gestanden hat, steht nichts mehr. An einer anderen Stelle liegt ein unförmlicher Blechhaufen. Traurig geht der Fahrer zu den Resten. Nachher kommt er und hat das, was noch ganz geblieben ist, in der Hand — das Steuerrad. Und eben dieses besagte Steuerrad ist unter dem Zederngrün des Adventskranzes verborgen.
Aber der Adventskranz weckt so schöne Erinnerungen an alte Zeiten. Man kann dabei so schön träumen. Das heißt, man . . . . könnte. Doch unter dem Kranz steht ein Tisch. Und dieser Tisch ist bedeckt mit Zeichnungen, Planungen, Berichten.
Von Vorgestern morgen bis gestern nachmittag habe ich keine Minute geschlafen. Minenpläne am laufenden Band. Unter dem friedlichen Adventskranz werden Pläne zum Verderben irgendwelcher anderer Menschen geschmiedet. Wie gern möchte ich Weihnachten zu Hause sein, aaber.
8. Dezember
Hier mußte ich gestern abend aufhören.
Gestern Mittag hatten wir Hasenbraten. Braun hatte 2 Hasen heraufgeschickt. In dem überschwemmten Gelände haben sich, da das Gelände immer einige Erhöhungen aufweist, eine Menge kleiner Inselchen gebildet. Auf einer dieser Inselchen waren durch das immer mehr ansteigende Wasser und somit das immer winziger werden der Insel etwa 200 Hasen zusammengedrängt worden. Man brauchte einfach mit einem Knüppel zu schlagen. Über 40 Hasen hat der erste Zug, also für jeden Mann einen. Zum Hasen gab es Bratkartoffel. Die Kartoffel waren nur entsetzlich fettig. Sie schwammen in Öl.
Der ganze Bezirk hier wird von Sonderformationen geerntet (ich meine die Apfelsinen). Sie sollen alle nach Deutschland kommen. Ich bin einmal gespannt, ob Ihr auch was kriegt.
Vor drei Tagen ging hier wieder mal ein Regen nieder, der sich gewaschen hat. So was von Wasser kennt man in Deutschland nicht. Was dann aus dem Gebirge ein Wasser geschossen kommt, davon macht man sich keinen Begriff. Einen halben Meter steht das Wasser an vielen Stellen der Straßen. Fahrzeuge kommen nicht durch. Auf Gebirgsstraßen, die an einer Seite Felsen und an der anderen Seite steilen Abhang haben, stürzen Felsmassen herunter und reißen ein Stück Straße heraus in den Abgrund. Eine zur Sprengung vorbereitete Brücke wurde durch einen Blitz gezündet und ging hoch. Dämme brechen und die Wasser stürzen mit einer Wucht durch, reißen Steine mit sich. Unsere Leute haben 24 Stunden hintereinander, Tag und Nacht, geschuftet, um den wichtigsten Damm wieder zu flicken. Sie standen dabei stundenlang des nachts bis an die Brust im Wasser. Kamen sie der Durchbruchstelle zu nahe, wurden sie von dem Wasserschuß erfaßt und fast bis ins Meer hinausgeschleudert. Aber der Damm wurde wieder fest. Wäre das nicht der Fall, so würde die künstliche Überschwemmung abgeflutet sein.
Wir haben jetzt 3 Sturmboote hier zur Kontrolle des überschwemmten Gebietes. Auch meine alte „1“ ist dabei. Aber wie sehen die Motore aus! Von dem Übersetzbetrieb Sizilien haben sie alle einen Knacks weg. Das Seewasser hat die Kühlkanäle durchgefressen. Überall läuft das Wasser aus Schraubenlöchern und Dichtungen heraus. Die Motoren ziehen auch nicht mehr richtig. Meine schnelle „1“ macht höchstens noch 18 – 20 km in der Stunde.
Morgen fährt der Spies nach Rom. Ich sehe mal, ob er da etwa für Dich etwas mitbringen kann. Unterwäsche oder ähnliches. Ob es klappt, weiß ich nicht. Wie ich es nach Hause bekomme, weiß ich auch nicht. Durch die Post gebe ich es nicht auf. Na, erst mal abwarten, ob er überhaupt was kriegt.
Wenn man hier durch die Berge fährt, sieht man mal ganz die Armut und Erbärmlichkeit des Landes. Die Leute kommen in Lumpen, schlimmer oft, wie in Rußland. Zerrissene Kleider. Manchmal haben Männer sich selbst Hosen aus Schaffell gemacht, die aber auch ausgefranst und in Fetzen herunterhängen. Dabei die verhärmten und mit Entbehrungen gezeichneten Gesichter.
Und nun, liebe Elsbeth! Dir und Dorotheechen einen herzlichen Gruß. Ich küsse Dich recht innig und gib Dorotheechen auch ein Küßchen von mir. Wenn ich an das kleine Mündchen von Dorotheechen denke und die Ärmchen, die es einem fest um den Hals legt, wird mir ganz weich ums „Jemüte“.
Ich bin immer
Dein Hannes.
[Das Original ist bei oder nach Transkription offenbar verloren gegangen.]